Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
Vom Netzwerk:
Waffengeschäfte von diesem Ausmaß einzulassen. Er erinnerte sich an sein Gespräch mit Valerie Weymann. »Wir haben eindeutige Beweise, dass Vieth involviert war«, hatte er ihr gesagt, und Beweise hatten sie in der Tat. Ihre Antwort war überraschend gewesen: »Was wäre, wenn ich das Gegenteil beweisen könnte?« Sie hatte so sicher geklungen, so überzeugt. Es hatte ihm keine Ruhe gelassen. Kurz vor seinem Abflug hatte er Wetzel gebeten, die Aussagen der Kontaktleute in Afghanistan erneut zu überprüfen und andere Verbindungen nicht auszuschließen. Jenseits von Vieth.
     
    Sie erreichten Kundus um die Mittagszeit. Das Lager lag auf einem Hochplateau, die deutsche Flagge wehte über den Gebäuden. Hinter der Mauer war der Turm einer Moschee zu sehen, in der Ferne flirrten die Ausläufer des Hindukusch in der heißen Luft. Oberst Jens Thamm, der Kommandeur des Lagers, empfing sie persönlich. Er war seit knapp zwei Monaten vor Ort, und während seiner bisherigen Dienstzeit hatte er ein wichtiges Ziel bereits verfehlt: den Krieg vor den Augen der deutschen Bevölkerung zu verbergen. Tote Zivilisten und deutsche Särge hatten in den vergangenen Wochen immer wieder die Bilder der Nachrichten bestimmt. Bilder, die Fehler implizierten, denn wenn alles nach Plan lief, gab es keine Toten. Das war die gängige Meinung.
    Mayer hatte verfolgt, wie der Oberst angesichts der Zustände in Afghanistan und innerhalb der Truppe sehr schnell resigniert hatte. »Wir können hier keinen Guerillakrieg führen«, hatte er ihm einmal in einer ruhigen Minute gestanden. »Und wir dürfen es auch nicht.« Er wusste nur zu gut um seine Ohnmacht.
    Seit dem verheerenden Luftschlag im September 2009, bei dem auf Befehl von Oberst Georg Klein einhundertzweiundvierzig afghanische Zivilisten getötet worden waren, gab es bei jedem Zwischenfall peinlich genaue Nachfragen aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam und dem Verteidigungsministerium – aber keine Hilfe. »Die in Berlin haben keine Ahnung, was hier wirklich los ist«, hatte Thamm jüngst noch geklagt. »Und das Schlimme ist, sie wollen es auch nicht wissen.«
    Mayer hatte ihm nicht widersprochen. Er hatte selbst erlebt, wie sich deutsche Abgeordnete bei ihren Besuchen abgewandt hatten, wenn es um ausgebrannte Wracks und Bombenkrater ging. Wie sie stattdessen von Demokratie gesprochen und nach Mädchenschulen gefragt hatten. Verstärkung für die Truppen wurde abgelehnt. Es gab zu wenig gepanzerte Fahrzeuge, zu wenig Hubschrauber und zu wenig Geld, um die seit Jahren versprochenen Projekte für die Zivilbevölkerung zu verwirklichen: die Brücken, Straßen oder das langersehnte Kraftwerk. Und wenn doch Geld ins Land kam, versickerte es irgendwo zwischen Kabul und Kundus. Gerwin Bender brachte einen Funken Hoffnung in die Trostlosigkeit. Mayer sah es an Thamms Blick, mit dem er den Vorstandsvorsitzenden der Larenz-Werke begrüßte, an der Art, wie er ihm die Hand schüttelte. »Ich bin froh, dass Sie als Erstes uns einen Besuch abstatten«, sagte er.
    »Das ist mehr als angemessen, nach allem, was geschehen ist«, erwiderte Bender. Er wusste, worauf es ankam und erledigte seine Aufgabe mit Bravour. Seit ihrer Ankunft hatte er nicht einmal die Miene verzogen, sich nicht einmal beschwert über den Staub und die Hitze oder das lauwarme Bier, das ihm nach seiner Ansprache an die Soldaten vorgesetzt wurde. Er prostete ihnen zu und trank mit einem Lächeln. Mayer hatte nichts anderes von ihm erwartet. Bender war hochprofessionell, besaß Charisma und Selbstbewusstsein. Die deutschen Medien liebten ihn. Auch gegenüber den Soldaten hier in Kundus fand er mit einer Mischung aus Demut und Tatendrang den richtigen Ton. Er scheute sich nicht, das Einzelgespräch zu suchen, stellte sich den Vorwürfen, den Anklagen – und vor allem hörte er zu. Mayer zollte ihm für dieses Auftreten durchaus Bewunderung, doch kurz vor ihrem Rückflug nach Kabul erreichte ihn Wetzels Anruf, der ihm Benders Engagement in einem anderen Licht zeigte und ihn erneut an Milan Vieths Beteiligung an den Waffengeschäften zweifeln ließ.
    »Der amerikanische Senator James Reynolds ist heute in Kabul angekommen«, berichtete Wetzel.
    Mayer schaltete sofort. »Leitet er nicht den Kongressausschuss, der für die Auftragsvergabe im Rahmen der Versorgung der amerikanischen Soldaten zuständig ist?«
    »Yep«, bestätigte Wetzel. »Offiziell besucht er die Truppen. Unter der Hand sieht es allerdings ein wenig anders aus.

Weitere Kostenlose Bücher