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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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    Mayer ließ das Telefon in die Brusttasche seines Sakkos gleiten und starrte aus dem Fenster des Taxis. Sie befanden sich in einem der Außenbezirke Kabuls. Von dem regen Wiederaufbau im Zentrum der Stadt war in dieser Gegend nichts zu spüren. Die Straßen waren nicht mehr als sandige Pisten, in einer Senke lagen zahlreiche Autowracks, auf einem stand ein Hund, ein kräftiger Rüde mit kurzem Fell, die Lefzen hochgezogen. Es war Freitag, der Tag, an dem sich die Männer in diesen Bezirken zu den traditionellen Hundekämpfen trafen, die während der Taliban-Herrschaft verboten waren und deshalb nun mit umso größerer Leidenschaft ausgefochten wurden. Mayer wandte den Blick ab, gerade noch rechtzeitig, um die beiden Geländewagen zu sehen, die von zwei Seiten auf das Taxi zugerast kamen und ihm den Weg abschnitten. Der Fahrer bremste heftig. Mayer wurde gegen den Vordersitz geschleudert und konnte sich gerade noch mit beiden Händen abstützen. Bevor er reagieren konnte, flog seine Tür auf. Er griff intuitiv nach seiner Waffe, doch die Angreifer waren schneller. Zwei Männer zogen ihn aus dem Wagen, stießen ihn zu Boden. Aus dem Augenwinkel nahm er dunkle Kleidung wahr, Sturmhauben, er hörte das Flehen des Fahrers, einen Aufschrei, spürte einen kurzen stechenden Schmerz im Nacken …

[home]
    21. Mai
    Rheintal bei Koblenz, Deutschland
    E s würde eine offizielle Trauerfeier geben. Für alle gefallenen Soldaten des Einsatzes. Der Verteidigungsminister würde persönlich daran teilnehmen. Katja starrte auf die Schlagzeilen der Zeitungen, auf die Fotos, die die Ankunft der Särge auf dem Flughafen Köln-Wahn zeigten, die Angehörigen, die in kleinen Gruppen zusammenstanden. Die Zeitungen schrieben, dass Chris seinen schweren Verletzungen erlegen wäre. Er war der einzige höhere Offizier unter den Toten. Der Einzige über dreißig. Sie las es immer und immer wieder, bis sie die Texte auswendig konnte. Dann schlug sie die Zeitungen mit einer heftigen Geste beiseite, stand auf und trat ans Fenster ihres Hotelzimmers, blickte auf Fachwerkhäuser und schmale Gassen und fragte sich, wie sie hierhergekommen war. Wie der Ort hieß. Sie tastete nach der Zigarettenschachtel in ihrer Brusttasche, zog sie heraus und musste feststellen, dass sie leer war. Sie sah sich im Zimmer um. Überall lagen Zeitungen herum. Neben dem Bett zwei leere Flaschen und ein voller Aschenbecher.
    An den Vortag hatte sie nur noch verschwommene Erinnerungen. Sie wusste nicht, wie lange sie auf dem Parkplatz gestanden hatte, nachdem sie die Nachricht aus dem Krankenhaus bekommen hatte. Sie war irgendwann losgefahren, hatte den Wagen langsam durch eine Stadt gelenkt. Sie erinnerte sich an die Stille in dieser Stadt. Nur wenige Fahrzeuge waren ihr begegnet. Zu wenige. Es war immer gefährlich, wenn die Straßen plötzlich verlassen waren. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass jeden Moment eine Explosion die Luft erschüttern, aus einem der umliegenden Häuser Flammen herausschlagen und Menschen schreiend über die Straße rennen würden. Es kam immer unvermittelt, immer dann, wenn sie am wenigsten damit rechneten. Autobomben. Selbstmordattentäter. Menschen mit einem Lächeln im Gesicht, die sich mit den Worten »Allah akbar« vor ihnen in die Luft sprengten. Sie meinte, ihn zu riechen, den Staub, der dabei aufwirbelte, das verbrannte Fleisch, die plötzliche Angst. Sie hatte scharf vor einer roten Ampel gebremst. Auch daran erinnerte sie sich noch. Ihre Hände hatten gezittert, ihr Herz wie wild geklopft. Und sie hatte geschwitzt wie nach einem Marathonlauf. Als die Ampel auf Grün schaltete, hatte sie Gas gegeben, und wie aus dem Nichts waren plötzlich andere Fahrzeuge da gewesen, Lichter hatten sie geblendet, Hupen gekreischt. Ihr Wagen war ins Schlingern geraten. Am Straßenrand war sie wieder zu sich gekommen. Sie hatte neben ihrem Fahrzeug gesessen, den Kopf in die Hände gestützt, zitternd am ganzen Körper. Deutschland war nicht Afghanistan. Niemand hatte angehalten, niemand hatte Fragen gestellt. Schon gar nicht mitten in der Nacht.
    Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, massierte kurz ihre schmerzenden Schläfen. Den Whisky musste sie irgendwo unterwegs gekauft haben. Vermutlich hatte sie Angst gehabt, nicht schlafen zu können. Aber wer hatte ihr die Zeitungen gebracht? Ihre Hände zitterten plötzlich wieder, als ob die Anstrengung des Denkens zu viel für ihren Körper war. Sie warf einen Blick

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