Die Marionette
Deutschland
Valerie Weymann saß in ihrem Büro in der Kanzlei und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Die kritische Situation zu verstehen. Florian Wetzel hatte sie um Hilfe gebeten.
Eric Mayer wurde verdächtigt, die Seiten gewechselt zu haben. Hinter vorgehaltener Hand wurde er zudem für den Tod eines amerikanischen Senators in Afghanistan verantwortlich gemacht, und er war wie vom Erdboden verschwunden. Abgetaucht, hieß es, doch Wetzel zweifelte daran. Heute Morgen hatte er sie angerufen.
»Was kann
ich
denn tun?«, hatte sie ihn gefragt.
Wetzel hatte von dem britischen Journalisten gesprochen, den Milan in seiner Videoaufzeichnung erwähnt hatte. »Mein Chef hat kurz vor seinem Verschwinden zuletzt mit Paul Clarke gesprochen, so viel konnte ich rekonstruieren. Hat Milan Vieth in seinen Aufzeichnungen und Unterlagen nicht irgendeinen Hinweis hinterlassen, wie wir mit dem Mann in Kontakt treten können?«
Wetzel hoffte, von Clarke Informationen über Mayers Verbleib zu erhalten. Eine eitle Hoffnung in Valeries Augen. Tatsächlich hatten die Informationen auf den CDs ihr den Schlüssel zu nicht allen, aber doch zu einigen der Daten auf dem USB -Stick geliefert. Es hatte sich ein immer klareres Bild über die Abläufe der jüngsten Ereignisse ergeben. Ein Bild, das keineswegs dem entsprach, was bislang der Öffentlichkeit präsentiert worden war.
All ihre Mutmaßungen und Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Milan Vieth war ermordet worden, weil er herausgefunden hatte, wer die wahren Verantwortlichen der illegalen Waffengeschäfte waren, und zumindest einen von ihnen hatte er mit seinem Wissen auch konfrontiert.
Bender und Milan hätten einen Riesenstreit gehabt nach Milans letztem Afghanistanbesuch, das hatte Sibylle ihr erzählt und ihr in diesem Zusammenhang auch gestanden, dass sie Bender für den eigentlichen Drahtzieher der Affäre hielt. Aber der Vorstandsvorsitzende war nicht allein verantwortlich. Auf dem Video hatte Milan von einem Treffen mit Paul Clarke gesprochen, von brisantem Material, das der britische Journalist ihm über Benders Verbindung zu einem Amerikaner zugespielt hatte. Der Mann war angeblich für den Verkauf der Waffen in Afghanistan verantwortlich. Der lang gesuchte Mittelsmann, dessen Rolle in der offiziellen Darstellung Eric Mayer innehatte.
Wäre Milan mit all seinem Wissen gleich in die Offensive und an die Öffentlichkeit gegangen, wäre er vielleicht noch am Leben. Aber Milan hatte einen entscheidenden Fehler gemacht. Er hatte gezögert. Hatte versucht, hinter den Kulissen eine Lösung zu finden, um der Firma nicht zu schaden. Durch diese fatale Entscheidung war nicht nur er, sondern auch Rudolf Hagedorn gestorben. Dass der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium einmal Milans Mentor gewesen war, ein väterlicher Freund, hatte Valerie nicht gewusst. Hagedorn hatte in Berlin herausgefunden, dass es in der Larenz-Krise Verstrickungen bis in die höchsten Regierungskreise gab. Bender besaß einen Kontakt, der ganz oben mitmischte. Daher hatte Milan es nicht gewagt, dort um Unterstützung zu ersuchen. Stattdessen hatte er sich an die Amerikaner gewandt, ausgerechnet an die CIA .
Nach seiner Auseinandersetzung mit Bender hatte Milan keinen Schritt mehr unbeobachtet unternommen, kein Telefongespräch geführt, keine E-Mail geschrieben, von der Bender und seine Geschäftspartner nicht erfahren hätten. Sie hatten schnell begriffen, dass er auf das Angebot, das sie ihm für sein Schweigen gemacht hatten, nicht eingehen würde.
»Wir müssen Paul Clarke finden. Überlassen Sie uns das Material für eine Sichtung«, hatte Wetzel sie eindringlich gebeten.
Valerie hatte abgelehnt. »Es war nicht Milans Wunsch, dass die Behörden in vollem Umfang Kenntnis davon erhalten«, hatte sie erklärt. »Ich werde es für Sie durchsehen.«
Sie hatte den halben Tag damit verbracht, und jetzt lag eine E-Mail-Adresse vor ihr auf dem Tisch. Sie hatte den Telefonhörer schon in der Hand gehabt, um Wetzel anzurufen, und hatte ihn dann wieder aufgelegt. Stattdessen griff sie nach der Maus ihres Computers und öffnete ihr E-Mail-Programm. Es dauerte eine knappe Dreiviertelstunde bis sie eine Antwort bekam. Clarke war nicht mehr in Kabul. Er war in London. Und er war bereit, mit ihr zu sprechen, sobald sie sich ihm gegenüber legitimiert hatte.
***
Kabul, Afghanistan
Martinez betrachtete den Mann vor sich, der noch immer gegen die Betäubung kämpfte. Die Dosis, die sie
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