Die Marionette
in seine Muskeln, und er merkte, dass ihr dieser Impuls nicht entgangen war. Sie würde ihn niederschießen oder einfach bewusstlos schlagen, wie sie es im Taxi getan hatte, als er sich verzweifelt gegen sie zur Wehr gesetzt hatte. Der Kofferraum des Wagens war geöffnet. Sie stieß ihn darauf zu. Die Handschellen schnappten zu und fixierten seine Hände hinter seinem Rücken. Bender biss die Zähne zusammen, um ein Stöhnen zu unterdrücken. Augenblicke später schloss sich die Hecktür hinter ihm. Der Wagen ruckelte los, und der beklemmende Schmerz in Benders Brust kehrte zurück und nahm ihm den Atem. Sein letzter Gedanke, bevor er das Bewusstsein verlor, galt ausgerechnet seinem toten amerikanischen Geschäftspartner James Reynolds.
***
Berlin, Deutschland
Martinez sah, wie die Farbe aus Valerie Weymanns Gesicht wich, als er langsam auf sie zuging. Wie sie zurückzuckte, ihre Nasenflügel bebten, ihr Brustkorb sich hob und senkte. Auf eine winzige Kopfbewegung des Amerikaners hin ließ Wetzel sie los und ging ihnen voraus in den Konferenzraum. Martinez stieß mit dem Fuß die Tür hinter ihm zu. »Mayer hat dir nicht gesagt, dass ich hier bin, weil er befürchtet hat, dass du dann nicht gekommen wärst«, sagte er ruhig. »Aber wir brauchen dich. Du weißt, was auf dem Spiel steht.«
Sie antwortete nicht, schluckte nur, und er beobachtete, wie sich eine Träne unter ihren langen Wimpern löste und langsam über ihre Wange rollte. Mit zitternden Fingern griff sie in die Tasche ihrer Kostümjacke und zog ein Taschentuch heraus. Er ließ ihr Zeit. Sie waren allein auf dem Flur. Niemand würde sie stören. Mit einer fahrigen Bewegung trocknete sie ihre Tränen und zerknüllte das Taschentuch in ihrer Hand. Dann atmete sie tief durch und sah zu ihm auf. »Ich hatte gehofft, dich nie wiedersehen zu müssen«, sagte sie mit überraschend fester Stimme. »Aber im Leben gibt es wohl immer ein zweites Mal.«
Er räusperte sich. »Ich kann nicht rückgängig machen, was geschehen ist. Ich kann dir noch nicht einmal sagen, dass es mir leidtut«, erwiderte er reserviert. »Ich habe meinen Job gemacht, und ich würde ihn wieder machen, wenn es für die Sicherheit meines Landes nötig wäre.«
Schweigend sahen sie sich an. Er spürte, dass es sie Kraft kostete, seinem Blick standzuhalten, gleichzeitig entging ihm aber auch nicht, mit welcher Entschlossenheit sie sich ihren dunkelsten Ängsten stellte. Schließlich streckte sie die Hand aus, um die Tür zu öffnen, doch er war schneller und ließ ihr den Vortritt.
Im Lagezentrum brummte es vor Aktivität. An den Wänden hingen große Monitore, die Mitarbeiter der einzelnen beteiligten Behörden saßen in langen Reihen an Computern, Laptops und Telefonen. In einer Ecke arbeiteten zwei Drucker im Akkord, und in einem weiteren, mit einer Glaswand abgetrennten Raum stand ein Konferenztisch, auf dem sich gebrauchte Kaffeetassen stapelten. Mayer kam ihnen entgegen, als er sie bemerkte. »Valerie …«, begann er.
»Es ist in Ordnung«, fiel sie ihm ins Wort. »Es wird keine Probleme geben.« Ihre Stimme klang abschließend, doch die leichte Röte auf ihren Wangen spiegelte ihre Nervosität wider.
Martinez bemerkte, wie Mayers Überraschung sich in Erleichterung verwandelte. »Danke«, sagte der BND -Agent lediglich. Es gab derzeit nicht viele Menschen in seinem Umfeld, die ihm so klar versicherten, dass es keine Probleme geben würde. Eine immense Verantwortung lastete auf Mayers Schultern. Martinez beobachtete die kaum merkbaren vertraulichen Gesten zwischen Mayer und Valerie und begriff, wie groß Mayers Erleichterung sein musste. Dieser intime Umgang konnte nur eins bedeuten: Die beiden hatten ein Verhältnis miteinander. Martinez runzelte unwillkürlich die Stirn. Als ob sie nicht so schon genug Schwierigkeiten hatten. Es überraschte ihn aber nicht. Er bezweifelte nur, dass es ein Happy End für die beiden geben würde. Geben konnte. Mayer funktionierte nicht gut in Beziehungen, und Valerie Weymann war verheiratet.
»Du suchst dir immer die falschen Frauen aus«, stichelte er nicht viel später. »Du solltest dein Beuteschema ändern, bevor es zu spät ist.«
Mayer sah unwillkürlich zu Valerie, die im Konferenzraum gerade mit einem Vertreter des Justizministeriums sprach. Martinez lächelte, auch der letzte Zweifel war spätestens jetzt zerstreut. Zu spät erkannte Mayer die Falle, die sein amerikanischer Freund ihm gestellt hatte. »Es ist anders, als du
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