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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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und einer Aura, die ihn einen Schritt zurücktreten ließ. Ihre erhobene Hand ballte sich zur Faust.
    »Mein ist die Rache, spricht Gott. Aber ich, ich, Juliane Augusta Assenheimer, ich verfluche dich, Georg Mössner.«
    Sie wandte sich um, riß sich das Kopftuch ab, das sie sich hastig über die Haare geworfen hatte, legte es liebevoll über Ohnesorgs Kopf und kniete neben ihm nieder. »Mögest du jetzt Frieden haben«, flüsterte sie.
    Niemand hielt sie auf, als sie mit der Geldbörse das Grüppchen verließ.
    »Weiber«, meinte Mössner verächtlich, schnipste mit den Fingern und befahl, den Selbstmörder wegzuschaffen.
    Am 6. Juli erhielt das 3. Armeekorps den Befehl, nach Witebsk weiterzuziehen. Schreibers Antrag, zur Bewachung des Lazaretts mit einer kleinen Einheit in Maliaty zurückzubleiben, wurde angenommen, auch wenn seine Vorgesetzten wußten, daß ihn in erster Linie die Sorge um seine Frau bewegte. Aber Hans Schad hatte zu verstehen gegeben, daß man ohne die Assenheimerin das Lazarett gleich auflösen könne.
    Juliane selbst war völlig verzweifelt, daß es ihr nicht gelingen wollte, ausreichend Lebensmittel aufzutreiben. Ihr Gottvertrauen kam beinahe ins Wanken. In den Abendstunden lehrte sie Jakob, eßbare Kräuter von ungenießbaren zu unterscheiden, und damit er sich nützlich machen und der Atmosphäre des Lazaretts entgehen konnte, schickte sie ihn tagsüber auf die Felder und ließ ihn Grünzeug einsammeln, aus dem sie in der Nacht dann Suppen für den nächsten Tag kochte. Um Salz zu sparen, würzte sie gelegentlich mit Schießpulver nach.
    Am Abend des 14. Juli tauchte Eli Abramow wieder in Maliaty auf und setzte sich mit dem inzwischen wieder genesenen Gerter zu Juliane vors Haupthaus. Sie enthäutete gerade vier Kaninchen, die von Rekonvaleszenten des Lazaretts erlegt worden waren. Elis Augen leuchteten, als er auf die Kaninchen blickte, und er sagte etwas zu Gerter.
    »Er freut sich, daß du den großen Tag so festlich begehst«, übersetzte der Oberleutnant.
    »Großer Tag?« Für Juliane war ein Tag schlimmer als der vorangegangene, und mit jedem neuen Morgen fühlte sie die große Katastrophe näherkommen.
    »Heute ist der Jahrestag der Französischen Revolution«, klärte Gerter sie auf. »Der Volksaufstand der Massen gegen die Monarchie. Der Sturm auf die Bastille. Das feiern die Franzosen.«
    »So?« meinte Juliane. »Den König zum Teufel schicken und sich dafür einen Kaiser einhandeln, der mit den Massen alles tun und lassen kann? Wirklich, ein wahrer Grund zum Feiern.« Sie bestreute die Häute mit Schießpulver und legte sie zur Seite. »Wer weiß, vielleicht läßt sich daraus Sohlenleder machen«, meinte sie. »Auch wenn sich beinahe niemand mehr auf den Beinen halten kann.«
    Noch nie hatte Gerter Juliane so verzagt gesehen. Er betrachtete ihre knochig gewordenen Hände, die eingefallenen Wangen, das stumpfe Haar, die hängenden Schultern. Er wußte ja aus eigener Erfahrung, wie sie sich für die Kranken aufopferte.
    »Kopf hoch«, sagte er hilflos. »Ich brauche ein paar einigermaßen gesunde Männer, um Lebensmittel zu beschaffen.«
    »Hier?« Die Assenheimerin lachte bitter. »Gesunde Männer? Wie stellen Sie sich das denn vor? Hier gibt's nichts, außer Kaninchen und auch die vermehren sich zu langsam. Ich kann keine 500 Kranken von vier Kaninchen ernähren. Wir sind am Ende, Herr Oberleutnant, wir werden alle verhungern. Sie suchen Männer, um Lebensmittel zu beschaffen? Das schlagen Sie sich mal aus dem Kopf. Das einzige, was hier weit und breit zu holen ist, sind Kosakenkugeln.«
    »Ruf den Korporal«, wandte sich Gerter an Jakob, und dann flüsterte er Juliane zu: »Hör zu, es soll nicht weit von hier ein Gut geben, auf dem immer noch Milch und Honig fließen. Ein unzerstörter, funktionierender Hof. Das hat mir Herr Abramow versichert, der kommt schließlich von hier und kennt sich aus.«
    »Sie glauben ihm das?« fragte Juliane mißtrauisch.
    Gerter nickte.
    »Zuerst hatte ich auch meine Zweifel. Aber ich glaube, daß er die Wahrheit sagt.«
    »Wer?« fragte Matthäus, als er sich neben den Kaninchenhäuten niederließ.
    »Der Jud!« bemerkte Juliane abfällig. »Der behauptet, daß es hier in der Nähe einen Gutshof geben soll, auf dem – wie sagten Sie doch – Milch und Honig fließen. So ein Unsinn.«
    Matthäus schüttelte den Kopf.
    »So einen Hof hätten wir bestimmt gefunden, Herr Oberleutnant. Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Rettungstrupps wir schon

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