Die Marketenderin
losgeschickt haben, als Sie krank waren …«
»… Moment«, unterbrach ihn Gerter. »Diese Trupps sind aufs Geratewohl losgezogen. Herr Abramow weiß genau, wo dieser Hof zu finden ist. Er kann uns hinführen.«
»Ich traue ihm nicht«, murmelte Schreiber. »Ich weiß, Sie denken darüber anders, aber ich halte das für eine Falle.«
»Wieviel will er denn dafür haben?« erkundigte sich Juliane.
Gerter zögerte.
»Tausend Rubel«, sagte er schließlich.
Juliane schlug die Hände zusammen. »Großer Gott, da haben wir's! Wußt ich's doch! Sie geben ihm tausend Rubel und er führt uns in einen Hinterhalt.«
»Für wie dumm hältst du mich eigentlich?« fragte Gerter erregt. »Ich habe das Geld doch nicht. Er kriegt es erst vom Zahlmeister ausgehändigt, wenn die Mission erfolgreich war. Ihr seht also, daß er nichts davon hat, wenn seine Geschichte nicht stimmt.«
Eli Abramow machte den Mund auf, als ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, daß er sich als der deutschen Sprache unkundig ausgegeben hatte. Die Information, daß Gerter kein Geld bei sich führte, stimmte ihn nachdenklich.
»Es ist mir trotzdem zu gefährlich«, meinte Schreiber.
»Ach ja?« rief Gerter, immer noch aufgebracht. »Wann hast du dir das letzte Mal deine Frau genau angesehen? Sie ist nur noch Haut und Knochen!« Als sein Blick Juliane streifte, schaute sie weg. So sah sie in seinen Augen also aus, so häßlich! Gerter fuhr fort: »Und du siehst auch nicht viel besser aus. Und was soll aus den hunderten im Lazarett werden? Wenn ihr nichts riskiert, geht ihr alle drauf! Was habt ihr zu verlieren?« Juliane blickte auf ihre vier Kaninchen und dann zum Lazarett hinüber.
»Er hat recht«, sagte sie leise. »Unser Leben ist nichts mehr wert. Mehr als ein paar Tage halten wir nicht mehr durch, Matthäus.«
»Wie viele Männer sind kräftig genug, um bei dem Rettungsunternehmen mitzumachen?«
Der Korporal schwieg.
»Dreißig oder vierzig«, meldete Juliane.
»Aber wie können wir sie überzeugen mitzumachen?« fragte der Korporal.
Gerter atmete auf. »Laß das meine Sorge sein. Hol sie her.«
Wenig später hatte sich um Gerter herum eine Gruppe abgerissener, schmutziger und halb verhungerter Soldaten versammelt. Er betrachtete die armselige Schar und erklärte: »Ich brauche Männer für eine Rettungsaktion.«
Höhnisches Gelächter ertönte.
»Gut«, meinte Gerter gleichmütig, »wenn ihr lieber verhungern wollt.« Er wandte sich zum Gehen.
Fragend blickten die Soldaten zu Schreiber. Dem blieb nichts anderes übrig, als ihnen in glühenden Farben das nahe gelegene Schlaraffenland zu schildern. »… wir können auch hier bleiben und krepieren«, schloß er.
»Um alles zu transportieren, brauchen wir mindestens zehn Fahrzeuge«, rief Gerter. »Das Gut soll in einem versteckten Tal liegen, wo noch keine Kolonne durchgekommen ist, also noch Speck, Schmalz und Schweine im Überfluß zu haben sind. Läuft euch da nicht das Wasser im Mund zusammen?«
»Ich glaub's erst, wenn ich es sehe«, sagte die Assenheimerin später. »Ich komme nämlich mit.«
»Das ist zu gefährlich«, gab Matthäus zu bedenken. »Wir könnten angegriffen werden.«
Juliane blickte über die Männer hinweg, auf die öde Landschaft vor sich.
»Wir sind die Angreifer, wir sind in dieses Land eingefallen, aber jetzt sind wir am Verhungern. Wenn ich für die hunderte im Lazarett da drüben was zu essen finde und jemand will es mir wegnehmen, dann schieße ich ihn über den Haufen.«
Sie griff zum Schleifstein, schärfte ihr Messer und zog dem letzten Kaninchen die Haut ab.
»Kannst du überhaupt mit einer Waffe umgehen?« fragte Gerter.
»Reichen Sie mir Ihre Pistole!« forderte sie ihn auf. »Meine liegt im Wagen. Seht ihr den toten Zweig am Baum da drüben?«
Neugierig reichte ihr Gerter seine Waffe.
Mit sicherer Hand schoß Juliane den Zweig vom Baum.
Gerter applaudierte. »Wehe, wenn sie losgelassen, unsere Assenheimerin! Prüfung bestanden. Du kommst natürlich mit und wahrscheinlich wirst du dann wieder zwei Pferde nötig haben, um deinen Wagen zu ziehen. Übermorgen geht's los.«
»Die wäre auch mitgekommen, wenn sie danebengeschossen hätte«, murmelte Schreiber.
Bewegung
Aus dem Tagebuch von Johannes Gerter:
Juli 1812
Den 19ten verließ ich Maliatui , traf am 25sten in Broslow , und am 29sten in Polotzk ein. Diese Stadt und Umgebung wurde von Franzosen, Schweizern und Baiern stark befestigt, um die Straße nach Petersburg und das auf
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