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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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überlagerte den Geruch von Pfefferminze und Hoffmannstropfen. Die ersten Fälle von Skorbut traten auf und zwischen die lauten Fieberphantasien der Schwerkranken mischte sich das Stöhnen der Sterbenden.
    Mehr als einmal mußte sich Juliane zusammenreißen, um nicht einem nahezu Verhungerten doch noch etwas aus ihren wenigen strenggehüteten Vorräten zu geben. Sie mußte sich immer wieder klarmachen, daß sie das Sterben eines Mannes dadurch vielleicht ein paar Tage hinauszögern würde, dann aber Jakob, Matthäus und sie selber möglicherweise dem Hungertod preisgegeben wären.
    Nachts schlich sie sich in das Haupthaus, in dem Gerter untergebracht war, und wenn sie sicher sein konnte, daß niemand sie beobachtete, flößte sie ihm Suppe, Tee und gelegentlich auch einen Fingerhut voll Branntwein ein. Ab und zu traf sie an Johannes Bett Felix an, der dann immer so tat, als wäre es völlig normal, daß sie sich um einen bestimmten Kranken besonders kümmerte.
    Manchmal wachte Matthäus auf, wenn sie zurückkehrte, und dann erzählte sie ihm, daß sie nach den Kranken gesehen hätte. Wenn er sie, offensichtlich überwältigt von ihrer Aufopferung, in die Arme nahm, kamen ihr vor Scham beinahe die Tränen.
    Matthäus verbot sich den Gedanken, daß die nächtlichen Besuche seiner Frau einem ganz bestimmten Kranken galten. Er dachte daran, wie sie Bleichle und Ohnesorg betreut hatte und schämte sich seines Verdachts. Selbst wenn sie vor allem Gerters wegen nachts ins Lazarett ging, wäre das verständlich: Er war doch ihr Freund ebenso wie seiner.
    Einmal hatte Juliane sich erweichen lassen und einem bettelnden Soldaten ein kleines Säckchen Mehl gegeben. Vor ihren entsetzten Augen hatte er es aufgerissen und das rohe Mehl verschlungen. Später erfuhr sie, daß der Mann elendig gestorben war. Sein geschwächter Magen hatte nicht vertragen, daß er auf das rohe Mehl noch Unmengen von Branntwein aus einem Fäßchen geschüttet hatte, das er in der Küche eines verlassenen Hauses gefunden hatte. Er erbrach das verdünnte Mehl und erstickte daran. Ohnesorg fand ihn mit dem Gesicht in dem erbrochenen Mehlbrei liegend. Die Assenheimerin fühlte sich so schuldig, als hätte sie den Mann eigenhändig umgebracht.
    Um Ohnesorg machte sie sich große Sorgen. Er war gleich nach ihrem Eintreffen in Maliaty auf sie zugekommen und hatte ihr sein Leid geklagt.
    »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, klagte er. Die Schindereien von Mössner hatten aus dem einstmals so fröhlichen Rekruten einen gebrochenen Mann gemacht. »Ich habe ihm nie etwas getan, aber er behandelt mich wie einen Sklaven, und es gibt niemanden, der meine Beschwerden anhören will. Und mein Versetzungsantrag ist abgelehnt worden.«
    Plötzlich brach er weinend zusammen. »Kein Feind kann so grausam sein wie Mössner. Und ich bin ihm ausgeliefert, vielleicht für Jahre. Ich will sterben, ich kann einfach nicht mehr!«
    Juliane setzte sich neben ihn, nahm ihn in die Arme und wiegte ihn wie ein Kind.
    »Ganz ruhig. Wird schon gut werden. Alles hat ein Ende und Mössner wird seiner Strafe nicht entgehen. Warte nur, bis wieder etwas Ordnung eingekehrt ist …«
    Sie merkte, daß dem Rekruten mit Beschwichtigungen nicht beizukommen war. Ohnesorgs Nerven lagen bloß.
    »Ich denke dauernd daran, mir etwas anzutun«, schluchzte er. »Vor allem nachts. Da geht mir das ganze Elend durch den Kopf. Ich sehe dann nur einen einzigen Ausweg und will am liebsten aufstehen und mir eine Kugel durch den Kopf schießen. Was für ein Leben habe ich denn? Ich muß noch mindestens acht Jahre bei der Armee bleiben und es gibt doch überall Mössners. Das überlebe ich sowieso nicht.«
    »Du bist ein starker Mann, du wirst alles überleben«, beschwor ihn Juliane. »So ein Mössner macht dich nicht kaputt. Und wenn du wieder so ausweglose Gedanken hast, komm zu mir. Jederzeit. Auch nachts um zwei.«
    Matthäus, dem sie von ihrem Gespräch mit Ohnesorg berichtete, sah sie sorgenvoll an. »Du kannst nicht jedem helfen, mein gutes tapferes Engelchen, das merkst du ja jeden Tag im Lazarett. Andererseits hast du Ohnesorg schon einmal das Leben gerettet und es heißt, daß der Retter für das Leben des Geretteten verantwortlich ist. Aber Ohnesorg ist nicht krank, er gehört sogar noch zu den körperlich Kräftigsten. Heute morgen habe ich gesehen, wie er eine Leichengrube aushob.«
    »Er ist nicht krank am Leib, sondern an der Seele«, erwiderte Juliane. »Reden und Handeln hilft da nicht

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