Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
Luft geflogen. Zugegeben, Ohnesorg hatte er ein wenig gequält, aber der Mann hatte es auch herausgefordert, es mit sich tun lassen, und erschossen hatte er sich schließlich selbst. Die Kosaken hatte er in den Rücken geschossen, aber es war Krieg, sie waren Feinde gewesen und hätten das gleiche mit ihm getan.
    Die paar anderen Ereignisse, an die er ungern zurückdachte, waren Folgen schlechter Entscheidungen während der Schlacht gewesen, aber niemand konnte verlangen, daß man in so einer Situation das richtige tat. Den kleinen Jungen im Dnjepr schließlich – er hatte ihn abschütteln müssen, sonst wäre der Offizier womöglich ins Wasser gefallen. Er hatte sich nach dem Kind nicht umsehen können, es waren genug andere Menschen in der Nähe gewesen, um den Jungen aus dem Wasser zu ziehen. Nicht seine Schuld, wenn andere schlafen. Über die Sache mit den beiden russischen Mädchen würde er erst nachdenken, wenn er etwas Abstand gewonnen hatte. Er merkte ja jetzt, wieviel klarer man dann sah.
    Auf keinen Fall aber durfte so etwas wieder vorkommen. So verloren und unglücklich wie nach dem Tod des Mädchens hatte er sich noch nie gefühlt. Fast wäre ihm dadurch auch die Freude an der reichen Beute vergällt worden.
    Die Schar hatte sich in der Eingangshalle, dem größten Raum des Steinhauses, versammelt und war von Kisten und Koffern umgeben, aus denen Seidengewänder, Pelze, Läufer, Samt- und Goldbrokatstoffe quollen. Schmuckstücke, Silberbestecke, Taschenuhren, Kristallgläser, Figurinen, deutsches und chinesisches Porzellan schmückten einen großen Tisch im Hintergrund.
    Mössner hatte sich für diesen Abend die Aufteilung der Beute vorgenommen.
    »Männer! Jeder von euch muß jetzt selbst wissen, was er tut. Ich habe gehört, daß es nur noch achthundert waffenfähige Württemberger gibt, und die Russen außerhalb der Grenzen Moskaus bereits angreifen.«
    Die anderen wußten, wovon er sprach. Leutnant Rebus von der württembergischen Artillerie und seine gesamte Mannschaft waren bei Streifzügen um Moskau von Platows Kosaken niedergemacht worden – das hatten ihnen gestern schon polnische Soldaten erzählt. Auch die leichten Reiter des in Russendiensten stehenden Winzingerode, die durch rund tausend bewaffnete Bauern unterstützt wurden, machten die Umgebung von Moskau unsicher. Dies hatten die Soldaten während ihrer Beutezüge durch die brennende Stadt von anderen Kameraden der einstmals so großen Armee gehört und sich gefragt, was denn geschehen würde, wenn sie Moskau verlassen müßten.
    Sie erwarteten von Mössner Aufklärung.
    »Wer zur Truppe zurückkehren möchte, dem steht dieses frei. Vermutlich wird Napoleon anordnen, den Winter über in Moskau zu bleiben, dann könnte es sich als klug erweisen, wieder zum Regiment zurückzukehren.« Er machte eine Pause. »Vor dem Militärgesetz sind wir jetzt schon Deserteure, aber wir waren auch schon Meuterer und sind nicht bestraft worden.«
    Wieder hielt er inne, zitierte dann aus dem Buch über die Pflichten, Rechte und Dienstverrichtungen des gemeinen Soldaten: »Man macht sich des Verbrechens der Meuterei schuldig, wenn man öffentlich gegen die Verpflegung murrt …«
    Die Soldaten brachen in Gelächter aus.
    »Steht da auch etwas über das Beutemachen drin?« rief einer.
    Mössner dachte einen Moment nach, dann fiel es ihm wieder ein: »Der Soldat muß sich für den Fall denken, wie es seinen Eltern und Verwandten zumute wäre, wenn die Feinde sein Vaterland verheerten; er darf überdies nicht vergessen, daß unrecht erworbenes Gut niemals Segen bringt, und daß die wahre Ehre nie ohne ein gutes Gewissen bestehen kann.«
    »Also, erst einmal«, sagte ein kleiner Soldat, der sich trotz der warmen Witterung einen Zobel umgehängt hatte, »erst einmal haben die Russen ihr eigenes Land verheert und Moskau angesteckt …«
    »Richtig!« klopfte ihm einer der Kameraden auf die Schulter, »niemand kann mehr wissen, was wem gehört, alles ist gewissermaßen herrenlos …«
    »Und unrecht erworbenes Gut ist es sowieso nicht«, krähte ein junger Mann, der noch nicht ganz den Stimmbruch hinter sich zu haben schien.
    »Wann haben wir denn unseren letzten Sold gekriegt, unsere letzte Mahlzeit, bezahlt vom Herrn König? Kämpfen und marschieren sollen wir, aber nichts zu fressen haben?«
    »Ruhe!« rief Mössner und blickte jeden seiner Getreuen eindringlich an. »Es ist noch nicht zu spät, zu den eigenen Leuten zurückzukehren.«
    Die Männer

Weitere Kostenlose Bücher