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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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    »Geschmack kann man nicht kaufen«, hatte Juliane empört erwidert. »Den hat man oder hat man nicht. Und die meisten haben ihn nicht. Wenn ich schon sehe, wie unsere Soldaten jetzt in diesen lächerlichen Gewändern aus Samt, Seide und Brokat rumlaufen! Mir ist gestern Korporal Koch über den Weg gelaufen und ich habe ihn erst gar nicht erkannt. Ich dachte, warum grüßt mich dieser Türke so freundlich – so seltsam war der angezogen!«
    »Wir sind seit dem Niemen nicht mehr aus unseren Uniformen herausgekommen«, gab Matthäus zu bedenken. »Und du weißt ja selber, was die Soldaten alles mitgemacht haben. Gönn ihnen doch den unschuldigen Spaß!«
    Einen Tag, nachdem Juliane und Matthäus ins Gartenhäuschen gezogen waren, wurde auch die Lösung eines anderen Problems gefunden. Von Röder hatte Gerter zwar beauftragt, den Palast für Festlichkeiten bereitzuhalten und ihm auch ein großzügiges Budget dafür eingeräumt, aber wer sollte für all die Gäste kochen? Er konnte Juliane, Matthäus und Felix nicht zumuten, sich um alles zu kümmern, und hinzu kam, daß Juliane mit ihrem Laden genügend zu tun hatte und nicht gerade aufs Bedienen erpicht war – wie er sich noch gut erinnern konnte.
    Der Zufall kam Gerter zu Hilfe. Als er am Abend den Palast verließ, um zur württembergischen Vorstadt hinüberzureiten, sah er einen der beiden Wachmänner einen alten Mann die Treppe hinunterzerren, während der zweite Soldat gerade mit dem Gewehrkolben auf eine dicke alte Frau einschlagen wollte, die zusammengekrümmt am Fuß der Treppe lag.
    Auf seine Frage, was hier vorginge, erklärte ein Wachmann, die beiden hätten einbrechen wollen. Johannes hob die ärmlich gekleidete Frau auf, die ihn mit angstvollen Augen anstarrte und in gebrochenem Deutsch immer wieder: »Nein, wir nicht einbrechen«, stammelte, »wir hier wohnen.«
    Nach und nach brachte er aus ihr heraus, daß sie und ihr Mann als Dienerpaar in dem Palast gearbeitet hätten, vor dem Brand geflüchtet und jetzt zurückgekommen waren, um das Haus für die gnädige Frau zu erhalten.
    Obwohl die Wachmänner Gerter warnten, daß die beiden Spione sein könnten, nahm er sie ins Haus und vergewisserte sich, daß sie sich in den Räumlichkeiten auskannten. Sie erklärten auch den Besatzern treu zu dienen, wenn sie nur wieder in ihr Gartenhäuschen zurückkehren durften. Johannes besprach sich mit Juliane und Matthäus, die sich bereit erklärten, dem Ehepaar das zweite Zimmer im Dachgeschoß abzutreten.
    Marja und Pjotr paßten sich der kleinen Gemeinschaft schnell an, ohne sich jedoch mehr als nötig mit den Fremden zu unterhalten. Juliane nannte sie nur ›die guten Geister‹, weil sie still werkelten und weiter nicht auffielen oder störten. Sie teilten sich die Küchenarbeit, lächelten gutmütig, wenn Matthäus sein Russisch an ihnen ausprobieren wollte, weigerten sich aber mit ihm etwas anderes als ihr gebrochenes Deutsch zu reden.
    Marja erwies sich als begnadete Köchin und sehr schnell entdeckte Juliane, daß die russische Küche mehr als Kaviar zu bieten hatte und notierte sich neue Gerichte. Gerter erfuhr von dem Ehepaar, daß der Hausherr, ein deutscher General, vor wenigen Jahren verstorben und seine Witwe noch vor dem Ausbruch des Feuers zu Verwandten aufs Land gefahren sei und erst zurückkommen würde, wenn Moskau von den Franzosen geräumt war. Pjotr schien nicht im geringsten daran zu zweifeln, daß in Kürze alles wieder den gewohnten Lauf nehmen würde. Er weigerte sich Gerters Frage zu verstehen, ob er denn nicht wüßte, daß Moskau erobert und somit napoleonisches Territorium geworden sei. »Napoleon bald weg, dann alles wie früher«, sagte er nur.
    Bevor sie ihren Laden einrichtete, machte sich Juliane auf, um die Umgebung zu erkunden und Lieferanten zu finden. Die Stadt, die sie am 19. September beinahe menschenleer angetroffen hatte, begann sich wieder mit Rückkehrern zu füllen. Juliane sah müde und zerlumpte Menschen, die weinend zwischen den Trümmern ihrer Häuser standen, andere, die sich aus dem heruntergestürzten Kupferblech der Palastdächer armselige Hütten in Gärten zusammenbauten. Sie erfuhr, daß mancher Russe nur als Diener der Besatzer in sein vom Feuer verschontes Haus zurückkehren konnte. Mitleidig betrachtete sie junge Mädchen, die sich an den Straßenecken Soldaten für ein Schinkenbrot anboten, obwohl sie beinahe noch Kinder waren. Sie fühlte sich schuldig bei dem Gedanken, daß eines dieser

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