Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
Menschen, die sie entweder beim Brand, beim Auszug aus der Stadt oder beim Einmarsch aus den Augen verloren hatten. Matthäus kam auf die Idee, eine Tafel mit den Namen von Gesuchten vor das Geschäft zu hängen. Von da an war das Geschäft schon in den frühen Morgenstunden umlagert und zog immer mehr Kunden an. Manchmal schwirrte Juliane der Kopf vom Sprachengewirr und sie war froh, daß Matthäus die meiste Zeit an ihrer Seite stand und mit Russen, Spaniern, Italienern und Franzosen verhandeln konnte.
    Am frühen Nachmittag schloß sie den Laden ab und legte sich ein paar Stunden hin, um Kräfte für den Abend zu sammeln. Jeden Abend gab es irgendeine Veranstaltung im Palast und manches Fest dauerte bis in den frühen Morgen.
    Wenn es spät wurde und die Gästeschar schon angeheitert war, bat Johannes oft auch Matthäus und Juliane sich zu den Gästen zu setzen. Besonders gern erinnerte sich Matthäus an einen Abend, an dem ein italienischer General, der mit den deutschen Uniformen offensichtlich nicht vertraut war, vor ihm strammstand und ihn militärisch grüßte. Der gleiche General mußte allerdings zwei Stunden später in eines der Schlafzimmer getragen werden, weil er sogar zu betrunken war, um mit der Kutsche nach Hause gebracht zu werden.
    Als Juliane vor die Tür ging, um den Kutscher aufzufordern seinen Herrn erst am nächsten Morgen abzuholen, wurde sie gebeten, im heißen Streit der wartenden Kutscher und Diener einen Urteilsspruch zu fällen. Die Männer machten sich gegenseitig den Rang streitig, wer den höheren Offizier fahre und wer aus der größeren Stadt stamme, der Mann aus Marseille, der Mailänder, der Berliner oder der Wiener. Der höchste Offizier, entschied Juliane, wäre in diesem Augenblick zweifellos der Italiener, da er im dritten Stock des Palasts seinen Rausch ausschlafe, während die anderen Herren im Erdgeschoß noch beim Cognac säßen. Über die Größe der Städte könne sie nicht urteilen, aber die wahre Größe einer Stadt zeige sich am Verhalten der Bewohner und demnach wären all diese Städte gleich groß. Nachdem ihre Worte mehrere Übersetzungsphasen durchlaufen hatten, erhielt sie Applaus und wurde zur Königin der Moskauer Kutscher ausgerufen. Eine Ehrenrunde um den Kreml lehnte sie dankend mit dem Hinweis ab, daß sie bereits wieder am frühen Morgen in ihrem Laden stehen müsse und sich freuen würde, dort ihre Untertanen als Kunden zu begrüßen.
    Matthäus, der den Garten des Palasts betreute und dabei von Olga wertvolle Ratschläge erhielt, ärgerte sich jeden Morgen über die leeren Flaschen, die er in den Beeten fand und aus dem Wasserbecken fischte. Zu fortgeschrittener Stunde machten sich die hohen Gäste nämlich einen Spaß daraus, die ausgetrunkenen Flaschen aus den Fenstern zu werfen und darum zu wetteifern, wer am weitesten warf oder den schönsten Bogen heraushatte.
    Matthäus sammelte die Flaschen in einem Kellerraum. Eines Tages schlug Juliane vor, sie mit Kräutersud zu füllen und im Laden zu verkaufen. Sie stellte in einer Ecke des Geschäfts einen Kocher auf. Ununterbrochen brodelte etwas in dem großen Topf und der Duft von Kamille, Pfefferminze, Heublumen, Thymian, Rosmarin, Salbei und anderen Kräutern lockte noch mehr Kunden herbei.
    Für jedes Zipperlein mischte die Assenheimerin das rechte Mittel und sie wußte auch, welche Kräuter Dämonen im Schlaf oder den Kater am Morgen verscheuchten, welche Mixtur dem Mann wieder Kraft gab oder die Frau davor bewahren würde, schwanger zu werden. Sie bot sogar ein Mittel gegen tiefe Traurigkeit an und wunderte sich nicht, daß es reißend Absatz fand. Matthäus konnte kaum noch all die Flaschen anschleppen, die sie benötigte.
    Aber nicht mit allen Spielen der trinkfreudigen Gäste war Profit zu machen. Die meisten kosteten nur zusätzliche Arbeit. Zum Beispiel das Spiel, das ein illyrischer Oberst an einem Abend einführte. Er habe gehört, daß man in Rußland beim Essen abgenagte Knochen hinter sich werfe, erklärte er, und da man sich jetzt in Rußland befinde, solle man ein Gleiches tun.
    »Wenn's der gemeinsamen Sache dient«, flüsterte Oberst von Röder Johannes zu und warf ein Hühnerbein hinter sich. Juliane, die mit Pjotr in der Küche den Nachtisch vorbereitete, hörte, daß die Stimmung offenbar den Höhepunkt erreicht hatte. Erschrocken eilte sie ins Eßzimmer, als von dort der Klang zersplitternden Glases ertönte. Sie konnte gerade noch einem Wurfgeschoß ausweichen, das gegen einen

Weitere Kostenlose Bücher