Die Markgräfin
den Flur. Zufrieden erschnupperte er, dass es nach Kaffee roch.
»Schön haben Sie’s hier! Und so eine riesige Porzellansammlung!« Komplimente gingen ihm – leider nur dann, wenn es sich bei den Empfängerinnen um Damen jenseits der sechzig handelte – gewöhnlich leicht von den Lippen. Dabei konnte er doch nicht umhin, beim Anblick der Hunderte von Nippes, die überall dicht an dicht in Glasschränken und auf Tischchen und Kommoden platziert waren, innerlich zu erschauern. Diese Wohnung war ein klassischer Fall von Horror vacui! Brrr!
Hildegard Zehrer nickte.
»Ach ja, meine Sammelleidenschaft! Alles platzt aus den Nähten. Aber setzen Sie sich doch. Sie trinken
doch einen Kaffee mit mir? Dabei können wir dann schöner plaudern.«
Fleischmann bejahte dankbar, und die Gastgeberin erschien sogleich mit selbst gemachter Schwarzwälder Kirschtorte und einer altmodischen Kaffeekanne mit gehäkelter Wärmehaube und Schaumstoff-Tropfenfänger.
»Wissen Sie, ich freu mich immer so über Besuch«, erzählte sie, während sie Tassen und Teller aufdeckte. »Ich bin ja Witwe, und mein Mann und ich haben keine Kinder. Da ist es manchmal schon ein bisschen einsam, gerade an den Sonntagen.«
Wie viele reifere Damen vor ihr schmolz Hildegard Zehrer förmlich dahin angesichts dieses Fleisch gewordenen Traums einer jeden Schwiegermutter, der da auf ihrem Sofa saß. Fleischmann machte brav Konversation und verdrückte dabei, wie es von ihm erwartet wurde, zwei große Stücke von der Sahnetorte. Schließlich, nach einer Dreiviertelstunde, beschloss er, zum Thema zu kommen.
»Darf ich Ihnen vielleicht jetzt ein paar Fragen zu den Klöppelsachen stellen, die Sie ins Auktionshaus Boltz gegeben haben?«
»Aber freilich!« Hildegard Zehrer holte tief Luft. »Also, das war so. Mein Mann, der Willi, war ein noch schlimmerer Sammler als ich. Er hat praktisch nie was weggeschmissen. Und ganz wild war er auf alte Sachen, Antiquitäten, Bücher, Postkarten und so. Wir
haben hier im ersten Stock gewohnt, und unten war alles voller Sammlerzeug. Aber in letzter Zeit hab ich angefangen, alles auszuräumen und herzuschenken.«
»Das war doch aber bestimmt viel wert«, warf Fleischmann ein.
»Eben. Das hat meine Freundin Betty auch gesagt. Die Nichte von der Betty arbeitet nämlich im Auktionshaus und weiß über so was gut Bescheid. Und deshalb hab ich dann einige von den alten Sachen dorthin gegeben. Es hat mir ja schon in der Seele Leid getan, wegen dem Willi, aber … «
»Ja, und die Klöppelsachen waren auch dabei … « Fleischmann beeilte sich, den Redefluss der alten Dame zu unterbrechen.
»Genau. Mit denen hat’s eine besondere Bewandtnis, das sind ganz alte Erbstücke. Mein Mann stammt nämlich aus einer alteingesessenen Kulmbacher Familie. Sein verstorbener Bruder Heinrich hat das alles mal herausgefunden. Der war so was wie Hobby-Ahnenforscher und hat aus alten Kirchenbüchern und Urkunden einen Stammbaum zusammengetragen. Schauen Sie, da hat er ihn aufgemalt.«
Sie holte aus einer Schublade des Wohnzimmerschranks eine kleine Rolle, auf der fein säuberlich in deutscher Schrift ein ansehnlicher Stammbaum gezeichnet war, auf die klassische Art mit bunt ausgemalten Wurzeln, Zweigen und Blätterwerk.
»Die Familie Zehrer, das hat der Heinz immer erzählt,
ist in Kulmbach schon seit Jahrhunderten ansässig. Er hat die Vorfahrenreihe zurückverfolgt bis zum Dreißigjährigen Krieg. Früher müssen das richtig reiche Leute gewesen sein, mit mehreren Häusern in der Stadt. Aber heute ist leider nichts mehr davon übrig – mein Willi hat immer gesagt, wie gewonnen, so zerronnen … «
»Aber die Klöppelsachen sind aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg. Das steht zumindest auf dem Zettel, der dabei war.«
»Ja, ja, das stimmt. Aus dem sechzehnten Jahrhundert, soviel ich weiß. Also der Heinz hat damals gesagt, die Sachen gehören der Familie Zehrer. Und, das hat er allerdings nie beweisen können, dass ganz früher, als auf der Plassenburg noch die Markgrafen gehaust haben, eine Zehrer als Dienstmädchen im Schloss gelebt hat. Die soll später ins Kloster gegangen sein, und zwar zu den Zisterzienserschwestern nach Himmelkron. Angeblich stammen die Klöppelsachen aus dem Nachlass dieser Klosterfrau, so erzählte man sich es in der Familie. Ich denk, dass die Teile halt von der Nonne geklöppelt worden sind – was soll man schon machen, jahrelang im Kloster? Und weil die Zehrers einfach nie was weggeschmissen haben,
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