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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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auf den Ellbogen
und nahm den Kaffee entgegen, den Tamara ihm reichte. »Oh,
Gott. Wie lange habe ich geschlafen?«
    »Vier Stunden.«
    »Das hab ich dir zu verdanken, du promiskuitives
Anarchistenluder.«
    Tamara lächelte.
    »Keine Sorge«, sagte sie. »Ich habe eine
Droge in den Kaffee getan. Du wirst gleich wacher sein, als du
dir vorstellen kannst.«
    »Habe ich deshalb Halluzinationen?«
    »Nein. Du hast die Kontakte dringelassen.«
    »Nochmals danke.« Wilde langte nach den Zigaretten
und rieb sich das verstoppelte Gesicht. »Sind diesem
anarcho-kapitalistischen Gericht vielleicht auch irgendwelche
monopolistischen Neppgeschäfte angeschlossen?«
    »Komisch, dass du fragst.« Tamara zeigte auf
mehrere Zigarettenpackungen und eine Plastiktüte mit
Rasierklingen und Toilettenartikeln. »Ich hab das auf deine
Rechnung setzen lassen.«
    Sie bereitete das Frühstück, während Wilde
umhertappte, sich wusch und ankleidete und den Kaffee samt
Drogenzusatz trank. Es gab drei Räume: ein kleines
Schlafzimmer mit einem Waschbecken und einer winzigen Toilette;
eine kleine Küche und einen größeren Raum mit
Kommunikationsausrüstung und Computerschnittstellen, alles
auf einem Konferenztisch mit einem halben Dutzend Stühlen
drumherum aufgebaut.
    »Was glaubst du, wie lange wir hier bleiben
müssen?«, fragte Wilde, während er sich
rasierte.
    »So lange es dauert.«
    »Ist Reid schon aufgetaucht?«
    »Ja. Mit seinen Unterstützern.
Zahlenmäßig sind wir ausgeglichen, sollte es zu einem
Kampf kommen.«
    »Das ist ja ein glückliches
Zusammentreffen.«
    »Nein, das wurde so arrangiert, und zwar
von…«
    »Sag nicht, von der Unsichtbaren Hand. Okay. Mein
Gott.« Er trocknete sich das Gesicht ab. »Seit meiner
Abschlussprüfung hab ich mich nicht mehr so schlecht
vorbereitet gefühlt.«
    »Was ist denn eine Abschlussprüfung?«
    »Eine alte Primatensitte.« Wilde zermalmte seine
Harmonie-Haferplätzchen. »Ihr seid schon ein ganzes
Stück weiter. Schauen wir mal, was es Neues gibt.«
    Tamara schaltete die Kommunikationsgeräte im großen
Zimmer ein, und Wilde schaute zu. Sie trug noch Jeans, T-Shirt
und Fliegerjacke, hatte aber als Zugeständnis an die
Würde des Gerichts oder an ihre Weiblichkeit Make-up und ein
Parfüm aufgelegt.
    »Sehe ich immer noch so schlimm aus?«, fragte
Wilde.
    Sie musterte ihn von oben bis unten. »Es wird schon
gehen«, meinte sie. »Aber benutz das
Aftershave.«
    Sie schauten sich die Nachrichten an. Der Prozess war auf
allen Kanälen der Aufmacher. Über Nacht war eine ganze
Subkultur von Newsgroups und Diskussionsforen entstanden, die
sich mit den unterschiedlichen Aspekten des Falles befassten. Die
drei von Dee und Ax reklamierten Tötungen, ihr Verschwinden
und das Erscheinen Jonathan Wildes hatten nahezu eine Panik
ausgelöst. Schon mindestens zwei Kirchensekten hatten
verkündet, Wilde sei der Vorbote des Jüngsten
Gerichts.
    »Hoffentlich sind deine abolitionistischen Genossen auf
Ärger vorbereitet«, sagte Wilde.
    »Auf was für Ärger?«
    »Das solltest du eigentlich besser wissen. Kommt es
nicht ständig zu Auseinandersetzungen, wenn du deine
Zeitschrift verkaufst? Hat Ax nicht unter Beweis gestellt, was
mit Menschen geschehen kann, wenn sie meinen, die Welt würde
sich ein für allemal verändern? Und jetzt multiplizier
das alles mal mit zehn… oder hundert!«
    Tamara schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht
vorstellen. Ich habe von Aufständen und Revolutionen
gelesen, aber hier gab es so etwas noch nicht.«
    »Dann könnt ihr euch glücklich
schätzen.«
    Tamaras Wangen röteten sich. »Ach, das tu ich,
versteh mich nicht falsch. In Ship City lebt sich’s gar
nicht so schlecht, bloß… bloß wird den
Maschinenbewusstseinen so viel Schlechtes angetan, und…
von den Idealen der Anarchie bis zur Umsetzung ist es ein weiter
Weg. Und die Menschen glauben wirklich, jetzt, da du
plötzlich aufgetaucht bist, würdest du alles in Ordnung
bringen.«
    »›Die Ideale des Anarchismus‹«,
wiederholte Wilde gewichtig. Er blickte Tamara kurz in die Augen.
Wer die beiden hätte sehen können, hätte keinen
Zweifel gehabt, welcher der beiden jugendlichen Personen mit dem
älteren Bewusstsein ausgestattet war.
     
    Die nächste Stunde verbrachte Wilde im Gespräch mit
einer untergeordneten juristischen Datenbank der Unsichtbaren
Hand, der Software ›MacKenzies Freund‹. Es handelte
sich um ein umgängliches,

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