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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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und meiner selbst wäre ebenfalls
angebracht. Anschließend können wir uns
über andere Dinge unterhalten.«
    Er zitterte leicht, als er geendet hatte.
    »Über welche anderen Dinge?«
    Wilde beugte sich vor und sprach so leise, dass nur Reid,
Tamara und MacKenzie ihn hörten.
    »Über die Schnelldenker«, sagte er, »am
anderen Ende des Malley Mile.«
    Reid zuckte leicht zurück. »Hast du das von
Jay-Dub?«
    »Das hab ich selbst rausgekriegt«, antwortete
Wilde. »Wenn man drüber nachdenkt, liegt es eigentlich
auf der Hand.«
    Reid schüttelte den Kopf. Einen Moment lang wirkte er
aufrichtig bekümmert. Dann verhärtete sich seine Miene,
und er trat zurück.
    »Jay-Dub hat dich erschaffen«, sagte er. »Um
dich als Waffe gegen mich zu verwenden. Und ich warne dich: Etwas
anderes hat Jay-Dub zu dem gemacht, was er ist.«
    »Er?«, nahm Wilde das Stichwort auf. »Das
ist ausgesprochen aufschlussreich.«
    »Er war du«, sagte Reid. »Vielmehr eine
Simulation deiner selbst. Und eine Zeit lang war er mein Freund.
Er hatte ausreichend Zeit, mich des Mordes an ihm – an dir
– oder der unterlassenen Hilfeleistung zu beschuldigen,
doch das hat er niemals getan. Weil er mich verstanden hat. Er
war ein größerer Geist als du und ich, Jon, und er hat
mich verstanden. Aber letztendlich war er doch bloß eine
Maschine. Eine Maschine, die ihre eigenen Absichten verfolgt, mit
endloser Geduld und bodenloser Schläue. Ich hatte gehofft,
das menschliche Element würde über das… Programm
irgendwann die Oberhand gewinnen. Ich habe mich geirrt, und
diesen Irrtum will ich wiedergutmachen. Juristisch betrachtet
gehört er dir, und darauf werde ich dich festnageln. Aber in
Wirklichkeit bist du…«
    »Was?«, fragte Wilde herausfordernd. »Sag
mir, wofür du mich hältst.«
    »Für ein instrumentum vocale«, antwortete Reid bitter. »Für ein sprechendes Werkzeug.
Jon Wilde ist tot.«
    Er machte auf dem Absatz kehrt, sammelte mit schroffer Geste
seine Begleiter ein und stapfte davon.

 
14    Kampf-Futures
     
     
    Auf den Weltkrieg folgte eine Weltregierung. Offiziell wurde
sie als Vereinte Nationen bezeichnet, inoffiziell als US/UN und
umgangssprachlich als die Yanks. Sie bewahrte vom Weltraum aus
den Frieden, zumindest behauptete sie dies. Tatsächlich
verhinderte sie, dass zahlreiche kleine Kriege sich zu
großen entwickelten. Doch zum Machterhalt brauchte sie die
kleinen Kriege, und diese hörten niemals auf. Damit es
keinen Vernichtungskrieg gab, herrschte endloser Krieg. Die US/UN
hielten die fortschrittlichste Technik in Händen, um zu
verhindern, dass sie in die ›falschen Hände‹
geriet – das hieß, in irgendwelche Hände, die
sich gegen die Herrschaft der US/UN hätten wehren
können. Diese Herrschaft war weniger schrecklich, als
Generationen amerikanischer Dissidenten gefürchtet hatten.
Über weite Strecken war sie nicht so schrecklich, wie
Generationen globaler Idealisten gehofft hatten. Das lässt
eine Menge Spielraum für schlechtes Regieren.
    Das Restaurationsabkommen, das fragmentierte System der
›dem König unterstellten Gemeinwesen‹, war der
britische Beitrag zu dieser infamen Geschichte. In den Nischen
des Königreichs gediehen alle möglichen Freistaaten:
regionalistische, rassistische, kreationistische, sozialistische
und – was unser Norlonto betraf – in einem Falle
sogar ein anarcho-kapitalistischer.
    Das Königreich war die Karikatur eines Minimalstaates,
der etwa im gleichen Verhältnis zu meinem Utopia stand wie
der ehemalige existierende Sozialismus zu den Idealen meines
Vaters. Die Menschen, denen es unter diesen Verhältnissen am
besten ging, waren die Außenseiter, die das Land
bevölkerten und sich als ›Neusiedler‹
bezeichneten, während die Stadtbewohner von ›neuen
Barbaren‹ sprachen.
    Nachdem zwanzig Jahre lang der Krieg aller gegen alle auf
kleiner Flamme vor sich hingeköchelt hatte, rief die Armee
der Neuen Republik zum vierten Mal die Schlussoffensive aus.
     
    »Du musst mit ihnen reden«, sagte Julie.
    »Wie komme ich denn dazu?«, erwiderte ich, ohne
mich vom Fenster abzuwenden. Der klare Morgenblick auf den Rand
des Grüngürtels von North London wurde von weißen
Rauchwolken beeinträchtigt, die von der anderen Seite des
Trent Parks aufstiegen. Ich zählte einige Sekunden, bis die
dumpfen Detonationen der Artillerie bei mir ankamen; die
Granateinschläge waren nicht zu hören. Wahrscheinlich
lagen

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