Die Mars-Stadt
Stadiumpublikums ist
es still geworden in der Bar.
»Zum Hinterausgang!«, sagt Tamara mit
zusammengebissenen Zähnen. Sie zieht Dee rückwärts
gehend nach rechts, schiebt sie durch eine Tür, die vor
ihnen aufschwingt. Sie befinden sich auf einem Gang, der
lediglich von ein paar gelben Lichtklecksen erhellt wird und
durchdringend nach Bier und Fisch stinkt.
Dee passt ihre Sicht an und sieht, dass Tamara heftig
blinzelt, als sie herumwirbelt. Anhand ihrer Bewegungen
schließt Dee, dass Tamara im Dunkeln mindestens ebenso gut
sehen kann wie sie selbst.
»Komm schon!«, ruft Tamara und stürmt den
Gang entlang. Dee streift die Schuhe ab, hebt sie auf und rennt
Tamara nach, eine Treppe hinunter und um ein paar Ecken in einen
noch dunkleren, noch übler riechenden Gang, eigentlich eher
ein Tunnel. Dee kann den Verkehr über ihren Köpfen
hören und schmeckt Wasserdampf in der Luft, der mit jedem
Schritt intensiver wird. Sie blickt sich um, doch von Verfolgern
ist nichts zu sehen. Das Wasser in der Luft schmeckt nach Rost.
Rutschend kommen sie vor einer massiven Metalltür am Ende
des Gangs zum Stehen. Tamara hantiert an den oben und unten
angebrachten Riegeln, bis sie mit einem Klirren aufspringen. Sie
hält inne, lauscht, dann zieht sie vorsichtig die Tür
auf und hält sich dahinter versteckt, bis diese fast
parallel zur Wand steht. Währenddessen späht sie
unablässig daran vorbei, ohne sich umzuschauen.
»Warte«, flüstert sie. Die Warnung ist
überflüssig: Der Soldat hat sich eingeschaltet, und Dee
steht flach an der Tunnelwand, zwei Meter vom Ausgang entfernt,
und nähert sich ihm ganz langsam. Als sich ihr Gesichtsfeld
weitet, sieht sie, dass die Tür auf einen schmalen
Betonabsatz oberhalb des Kanals hinausgeht, der an dieser Stelle
etwa fünfzig Meter breit ist. Die Lichter von der
gegenüberliegenden Straße, der Rue Pascal, werden vom
kabbeligen schwarzen Kanalwasser reflektiert, das aufgerührt
ist von den Linienbooten. Aus dem Platschen und Seufzen des
Wassers schließt sie, dass der Außenbordmotor am
Rande ihres Gesichtsfelds zu einem kleinen Dinghi gehört,
das dicht bei der Tür angelegt hat.
Auf dem meterbreiten Kai bewegt sich ein Schatten – ihr
eigener.
Sie blickt sich in den Tunnel um. Weit hinten ist soeben ein
Licht angegangen, und irgendwo auf dem Gang bewegt sich etwas.
Tamara bemerkt es gleich darauf auch und tritt hinter der
Tür hervor. Sie blickt Dee an, zeigt nach draußen,
dann deutet sie mit zwei Fingern ruckartig nach links und nach
rechts. Gleichzeitig stürzen sie aus der Tür und wenden
sich in entgegengesetzte Richtungen, suchen das Gleichgewicht und
hocken sich auf den Kai.
Dee sieht das Kanalufer drei Meter bis auf
Straßenhöhe ansteigen, sie sieht den Kai, der bis zu
einer mehrere hundert Meter entfernten Kreuzung am Kanal
entlangläuft. Boote und Lastkähne haben daran
festgemacht, Türen und Tunnelmündungen durchbrechen die
Seitenwand. Im Moment hält sich niemand auf dem Absatz
auf.
In der Gegenrichtung sieht es ganz ähnlich aus,
bloß dass sich der Kanal hier bis in die Dunkelheit der
Wüste erstreckt. Jetzt endlich hört Dee das
Geräusch eiliger Schritte, die etwa in der Tunnelmitte
angelangt sind. Sie macht Tamara hektisch Zeichen.
»Ins Boot!«, sagt Tamara. Sie holt die Leine ein,
und das kleine Schlauchboot stößt gegen den Rand des
Kais. Es schaukelt kaum, als Tamara hineintritt, gerät
jedoch in heftige Bewegung, als Dee ihr folgt. Sie findet sich in
der feuchten Kuhle des Bootes auf dem Rücken wieder, unter
ihr Handtasche und Schuhe. Ihre Füße kommen Tamaras
Füße in die Quere, als die Menschenfrau ablegt und den
Außenborder anlässt. Dee ist froh über ihre
unwürdige Lage, als Tamara Gas gibt, das
Motorengeräusch zu einem lauten Heulen anschwillt und sich
der Bug des Bootes aus dem Wasser hebt. Das Boot jagt aufs Wasser
hinaus, und Tamara steuert eine weite Kurve, worauf sie,
untermalt von den Rufen und Flüchen einer anderen
Bootsbesatzung, mitten über den Kanal davonsausen,
während gleichzeitig in der Tunnelmündung eine Gestalt
auftaucht.
Es ist der Mann, der sie erkannt hat. Er ruft ihr etwas nach,
doch seine Worte gehen im Motorenlärm unter. Tamara legt
abermals Ruder, das Boot schwenkt inmitten einer Gischtwolke
herum und fährt durch eine schmale Einmündung unter der
Stras Cobol hindurch in einen Seitenkanal, der zwischen hohen,
fensterlosen Wänden
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