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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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die Münzen ab, welche die
Männer ihr reichen. Einige nehmen die Zeitungen, als
wären sie wild darauf, sie zu lesen, andere mit einem Anflug
von Widerwillen und viel Gerede, die meisten aber schütteln
bloß den Kopf oder zucken die Achseln und wenden sich
wieder ihren Unterhaltungen zu oder dem Fernsehschirm, wo gleich
jemand erschossen werden soll. Währenddessen blickt sich das
Mädchen hin und wieder im Raum um, was zur Folge hat, dass
der Spion hin und her gerissen ist zwischen der Bewunderung
für ihr unauffälliges Verhalten und der Besorgnis, sie
hielte Ausschau nach jemandem, der dem harten kleinen Herzen des
Spions namens Ich nahe steht.
    Das Mädchen an der Bar unterhält sich noch eine
Weile mit den Männern auf den Barhockern, dann steht sie
lässig auf und versucht, die Zeitungen den
Büroangestellten zu verkaufen. Das gelingt ihr bloß an
einem Tisch, dann nähert sie sich dem letzten Tisch mit der
dunkelhaarigen Frau ohne Begleitung.
    Ein Schuss fällt. Zwei Hände greifen zu zwei
Pistolen und werden zurückgezogen, als aus dem Fernseher und
von den Zuschauern wüstes Triumphgeschrei ertönt, was
darauf schließen lässt, dass soeben eine tödliche
Strafe vollstreckt wurde.
    Und dann steht sie grinsend und kopfschüttelnd vor ihr
und blickt auf sie nieder. »Nervös heute Abend, nicht
wahr?«, sagt sie.
    Der Spion und der Soldat sind in der Tat auf dem Sprung und
ringen um die Oberhand, und der Spion kann nichts weiter tun, als
den scharfen Befehl des Soldaten in eine höflich
vorgebrachte, gedämpfte Aufforderung zu verwandeln:
»Verdecken Sie mir nicht die Sicht auf die
Tür.«
    Die hoch gewachsene Frau tritt eilig beiseite. Sie wirkt
überrascht, geht aber nicht weiter.
    »Hi«, sagt sie. »Ich heiße Tamara. Und
wie ist Ihr Name?«
    Das Ich übernimmt. Sie lässt die Hand dort, wo sie
ist.
    »Dee«, sagt sie. »Dee Model.«
    »Aha«, meint Tamara. »Ich verstehe.«
Ihre Augen weiten sich ein wenig, dann blickt sie kurz weg, als
wisse sie nicht weiter. »Was dagegen, wenn ich mich
setze?«
    Dee nickt. Die junge Frau nimmt zu Dees Rechten Platz,
zwischen ihr und der Bar.
    »Was für Zeitungen verkaufst du da?«, fragt
Dee.
    Tamara schiebt eine über den Tisch. Der Name lautet Der Abolitionist, in eigentümlich
unregelmäßigen Buchstaben mit Serifen. Die Artikel,
die der Spion in etwa zwei Sekunden aufnimmt und die nach und
nach zum Ich durchsickern, stellen eine merkwürdige Mischung
dar: Nachrichtenschnipsel über Arbeitskonflikte; technische
Artikel über Assembler, Reaktoren und dergleichen; ein paar
Spalten voll paranoiden Geschwätzes über verschiedene
wichtige Persönlichkeiten, in denen auch der Name von Dees
Besitzer hin und wieder auftaucht; und weitschweifige
Abhandlungen über künstliche Intelligenz.
    Dee legt die Zeitung beiseite, nachdem sie sie anscheinend
höchst beiläufig überflogen hat. Einen Moment lang
fragt sie sich, ob dies eine Falle ist, doch das hält der
Spion für unwahrscheinlich: Das sind genau die Ideen, die
sie in diesem Viertel erwartet hat, und es ist offensichtlich,
dass Tamaras Parteinahme den Anwesenden bekannt ist, jedoch eher
resigniert zur Kenntnis genommen wird. (Der Gedanke, die
Anwesenden könnten Teil eines kunstvollen Komplotts sein,
kommt weder Dee noch dem Spion: Ihre persönliche Geschichte
ist zwar reich an Intrigen und Verrat, doch es fehlt ihnen an der
ausufernden konspirativen Vorstellungskraft, die ihnen bereits
zur zweiten Natur geworden wäre, wenn sie ständig
Gefahren ausgesetzt wären.) Dee versucht, nicht allzu
hoffnungsfroh zu klingen.
    »Glaubst du wirklich, dass die
Humanäquivalentmaschinen den Menschen, sagen wir,
ebenbürtig sind? Dass sie eigene Rechte besitzen?«
    »Aber sicher doch«, sagt Tamara. »Du
nicht?«
    »Hm«, macht Dee. »Ich möchte dir einen
Drink ausgeben.«
    Als sie vom Tresen zurückkommt, hat sie Tamaras Tasche
dabei. Sie stellt sie schwungvoll unter den Tisch und legt ihre
Pistole darauf. Tamara winkt ab, als sie ihr eine Zigarette
anbietet. Dee steckt sich eine an und beugt sich vor.
    Der Soldat übernimmt den zweiten Platz vom Spion, dem das
alles nicht gefällt. Der Spion kann nichts weiter tun, als
dafür zu sorgen, dass niemand ihre Unterhaltung belauscht.
Eine kurze Sondierung der Raumelektronik, dann fährt die
Musikanlage die Lautstärke um ein paar Dezibel hoch.
    »Ich bin eine Maschine«, sagt Dee.
    Tamara hat dies aufgrund ihres

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