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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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hauteng gerippten
Sweater und einem langen, engen Rock, der so geschlitzt ist, dass
er ihre eiligen Schritte nicht behindert. Schulterlanges Haar,
schwarz und dicht, schwingt um ihr hübsches und
einprägsames Gesicht, das jedoch auf der Ästhetikskala
des Systems keinen Ausschlag verursacht – breite
Wangenknochen, volle Lippen, große Augen mit grüner
Iris und sich plötzlich zusammenziehenden, auf
Stecknadelgröße schrumpfenden Pupillen. Sie schaut
offen in die verborgene Linse, die ihr diese Musterung zuteil
werden lässt. Es hat den Anschein, als zwinkere sie der
Optik zu.
    Und weg ist sie. Sie ist aus dem Erfassungsbereich des Systems
verschwunden, ist jetzt nichts weiter als eine verschwommene
Anomalie, ein schwebender blinder Fleck und ein sich
verflüchtigendes Unbehagen in dessen Gedächtnis,
während seine Aufmerksamkeit gewaltsam auf einen
Standbesitzer gelenkt wird, der einen Bottich mit heißem
Öl ohne die gebotene Vorsicht über eine nahe gelegene
Kreuzung karrt, und sich das Es-liegt-eine-Notsituation-
vor-Programm einschaltet…
     
    Aber sie ist noch da, schreitet immer noch eilig aus, und wir
sind bei ihr, aus Gründen, die sich später erhellen
werden. Wir sind in ihrem Raum, in ihrer Zeit, in ihrem Kopf.
    Ihr hübscher kleiner Kopf enthält und verbirgt einen
wahrhaft neo-marsianischen Geist, einen überlegenen,
kühlen Intellekt ohne Mitgefühl, und gegenwärtig
befindet er sich im Kampfmodus. Sie hat den Spion aktiviert,
nicht den Soldaten, aber der Soldat ist auch da und wartet
darauf, sich beim ersten Anzeichen von Gefahr einzuschalten. Die
Körperbewegungen werden von der Sekretärin gemanagt, im
Ruhemodus: Ihr Gang entspricht der Eile einer zu spät zu
einer Verabredung Kommenden, das reicht einstweilen. Bloß
dass sie schon weiter und schneller gelaufen ist als jedes andere
Mädchen unter solchen Umständen und dass die Haut
über den Achillessehnen wundgescheuert ist. Sie schaltet
eine chirurgische Subroutine ein, worauf der Schmerz –
nachdem seine Warnung beachtet wurde – merklich
nachlässt.
    Sie gestattet sich eine diffuse Zufriedenheit, weil sie das
Überwachungssystem ausfindig gemacht und überlistet
hat. Sie weiß, die eigentliche Gefahr droht ihr von
menschlichen Verfolgern. Weil sie es nicht wagt, das Radar und
das Sonar einzuschalten, kann sie nicht hinter sich blicken, doch
alle anderen Hinweise, die ihr ins Auge fallen, wertet sie aus.
Jedes Echo, jeden Reflex: in Fenstern und auf Metallflächen
und den funkelnden Stoßstangen der Fahrzeuge, selbst die
der Iris in den Augen entgegenkommender Passanten – dies
alles dient dazu, eine Rundumsicht aufzubauen. Ständig
upgedatet, ein asynchroner Palimpsest, der Menschen und Fahrzeuge
– in Farbe und 3-D – aus ihrem Gesichtskegel in eine
umfassendere Perspektive eingliedert, wo sie sich in
Zeichentrickfiguren mit ruckartigen Bewegungen verwandeln, in
bloße Umrisse, die sich hin und wieder, wenn ein Detail
hervortritt, mit Farbe füllen. (Sie könnte die
Farbwiedergabe beibehalten, wenn sie wollte, und das Visuelle und
das Virtuelle nahtlos miteinander verschmelzen lassen, doch dazu
reicht gegenwärtig ihre Rechenleistung nicht aus. Der Spion
ist ein anspruchsvolles Bewusstseinstool und beansprucht stark
die Ressourcen.)
    Eine Warnung leuchtet auf, indezente Pfeile, die erst auf ein
Gesicht zeigen, dann noch auf ein zweites, beide weit hinter ihr.
Sie vergrößert diese fernen Schemen, zoomt sie heran
und erkennt sie. Zwei Männer, schwere Jungs im Dienste ihres
Besitzers. Ihre Namen hat sie nicht gespeichert, hat sie aber im
Laufe der Jahre schon häufiger gesehen.
    Der Spion analysiert ihre Bewegungen und meldet, dass sie noch
nicht auf sie aufmerksam geworden sind; sie suchen, aber
verfolgen sie nicht. Noch nicht.
    Links bemerkt sie das Schild einer Bar, ›Malley
Mile‹, mit neonbunten Buchstaben. Zum Glück
nähert sich ihr gerade ein großer Mann, der dicht an
den Hauswänden entlanggeht. Sie lässt den zwei Meter
dreißig großen und zweihundert Kilo schweren
Hünen passieren – das einzig Bemerkenswerte an ihm ist
der unpassende Blumenduft des Shampoos, mit dem er sich vor
kurzem den affenartigen Pelz gewaschen hat –, und als er
sie nach hinten hin abschirmt, schlüpft sie geschmeidig
durch den Eingang.
    Ein mieses, geschmackloses Lokal. Jede Menge Holz und Metall.
Die Musik ein dumpfer, maschinenhafter Hintergrundlärm. Die
Lüftung

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