Die Mars-Stadt
Namens offenbar halb erwartet,
dennoch vermag sie es nicht ganz zu glauben.
»Könnte sein, dass du mich verarschst,
Mädel«, sagt sie.
Dee zuckt die Achseln. »Der größte Teil
meines Körpers wurde in einer Retorte gezüchtet. Mein
Gehirn ist überwiegend künstlichen Ursprungs. Technisch
und juristisch betrachtet bin ich ein hirnloser Klon, der von
einem Computer gesteuert wird. Beide Komponenten sind nichts
weiter als geistlose Objekte, trotzdem nehme ich mich als Person
wahr.«
Tamara nickt heftig, nach Menschenart.
»Und ich brauche deine Hilfe«, setzt Dee hinzu.
»Ich bin weggelaufen, und die Angestellten meines Besitzers
suchen hier in der Gegend nach mir.«
Tamaras Kopf kommt zur Ruhe, und ihr Mund klappt auf.
»Mist«, sagt sie.
Dee starrt sie an. »Was ist los?«, fragt sie.
»Passt dir das nicht?« Sie wirft einen Blick auf die
Abolitionistenzeitschrift. »Oder ist das alles
bloß…«
Tamara schließt einen Moment lang die Augen und
schüttelt leicht den Kopf. »Das ist es nicht«,
sagt sie verlegen. Sie legt die Finger an die Nase und spricht in
diese unzureichende Maske hinein. »Selbstverständlich
werde ich dir helfen… Wir werden dir helfen. Es ist
bloß – das ist nicht unsere Hauptbeschäftigung,
verstehst du? Wir haben ein paar Leute dazu überredet, ihre
Maschinen freizugeben, aber eine Maschine, die sich selbst
befreit, das passiert nicht oft. Jedenfalls hört man nichts
davon.« Sie lächelt, hat sich wieder gefasst.
»Bist du bereit zu kämpfen?«
»Ich bin zu jeder Art Kampf bereit«, sagt Dee.
»Was bedeutet ›wir‹?«
»Ein halber Straßenblock voller
Anarchisten«, sagt Tamara.
Dee versteht nicht genau, was das bedeutet, doch es klingt
hoffnungsvoll, zumal so, wie Tamara es sagt.
»Hast du einen Unterschlupf für mich?«, fragt
Dee.
»Wir sind wahrscheinlich deine größte
Chance«, antwortet Tamara ausweichend. »Bislang hat
es noch keine richtige Auseinandersetzung deswegen gegeben. Das
wäre schon was, wenn wir die ersten wären. Verdammt
noch mal. Das würde die Stadt in ihren Grundfesten
erschüttern, den ganzen beschissenen Planeten!«
Dee überlegt, weshalb das so sein sollte, doch abgesehen
von einem schwachen Winken des Wissenschaftlers hat sie keine
entsprechenden Informationen gespeichert.
»Warum?«, fragt sie.
Tamara starrt sie an. »Du bist wirklich eine
Maschine«, sagt sie und lächelt an ihrer Hand vorbei.
»Sonst wüsstest du die Antwort.«
Dee lässt sich das durch den Kopf gehen und bemüht
sich, die vagen Andeutungen des Wissenschaftlers in Worte zu
fassen.
»Wegen der Schnelldenker, nicht wahr?«, meint sie
aufgeweckt. »Und wegen der Toten?«
Tamaras Augenbrauen schnellen in die Höhe. »Das
sind die intelligenten Bedenken«, sagt sie. »Das
eigentliche Problem sind die dummen Befürchtungen…
Das wirst du schon noch merken. Ist damit zu rechnen, dass
draußen die Greifer rumlaufen?«
Dee überlegt kurz.
»Nein«, antwortet sie. »Im Moment nicht.
Aber vielleicht sind da ja noch andere.«
Tamara leert ihr Glas. »Gehen wir«, sagt sie.
Sie sammeln gerade ihre Sachen auf, als die Tür aufgeht
und ein junger Mann und ein alter Robot hereinkommen. Der Mann
wirkt ausgezehrt und trägt Wüstenkleidung, der Robot
ist ein einfaches Standardmodell. Tamara beachtet sie nicht
weiter, Dee hingegen beobachtet aufmerksam, wie der Mann am
Eingang stehenbleibt und den Raum neugierig mustert.
Als er sie bemerkt, kommt sein Blick zur Ruhe.
Er tritt einen Schritt vor. Sein Gesicht verwandelt sich wie
unter Beschleunigungsdruck in eine fürchterliche Maske der
Angst, eher eine Verzerrung der Gesichtszüge als ein
Gesichtsausdruck – undeutbar, unmenschlich.
Gleichzeitig spürt Dee, wie die forschenden Sinne des
Robots ihren Körper scannen und ihr Gehirn anzapfen. Der
Spion und der Soldat und das System bewegen sich mit Schwindel
erregender Geschwindigkeit durch die Räume ihres Geistes und
wehren den Hackerangriff ab. Ihre eigenen Versuche werden von
einer Abschirmung abgewehrt, die ebenso hart wie die
Metallhülle des Robots und vielleicht mit ihr identisch ist.
Der Robot setzt sich ruckartig in Bewegung, während der Mann
einen zweiten Schritt auf sie zu macht. Mehrere von Dees Ichs
schreien, sie soll von hier verschwinden.
Sie hat die Pistole mit beiden Händen gepackt, der Tisch
ist umgestürzt, und Tamara steht neben ihr. Abgesehen von
der dumpfen Musik und dem Gegröle des
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