Die Mars-Stadt
oder ein Wort des
Abschieds durch die Menge, um mit ihm zu reden.
Tamara fasst Dee beim Ellbogen und blickt der Maschine nach.
Dann wendet sie sich herum, und Dee kann, wie man so sagt, sehen,
wie es in ihr arbeitet, während die Sprachzentren
allmählich die Auswirkungen der Vergiftung
überwinden.
Schließlich kommen die Worte durch.
»Das war ja nicht mal ein
Humanäquivalent!«
»Ich habe schon mit schlimmeren Menschen geredet«,
meint Dee.
Dee hüpft unbewusst herum – das ist eine
ich-spezifische Fähigkeit –, als sie den Mann bemerkt,
der sich ihr gegenüber bewegt, als tanze er mit ihr. Ihr
Blick wandert von den Schuhen aus glänzendem Kunstleder
über Hose und Jackett seines eleganten, aber unmodischen
Anzugs, vorbei an dem widerlichen Geruch, der aus dem
verschwitzten T-Shirt-Ausschnitt unter dem offenen Hemdkragen
aufsteigt, zu seinem -
Gesicht!
- und der Schock, einen der Greifer, der
Wiederbeschaffungsleute, wiederzuerkennen, bewirkt einen
Adrenalinstoß, der den Soldaten weckt. Alles verlangsamt
sich, bloß ihre Bewegungen nicht. (Die Musik wandelt sich
vom Discosound zu einem tiefen, maschinenhaften
Hintergrunddröhnen.) Ein rascher Blick umher veranlasst den
Chirurgen, sich rasch um die Sehnen und Knorpel am Hals zu
kümmern, und bringt ihr zu Bewusstsein, dass Tamara sich ein
paar Meter entfernt geschmeidig windet und ihr halb den
Rücken zuwendet, und hinter Tamara, ein wenig seitlich, ist
der andere Greifer. Aufgrund seiner Bewegungen und seiner
Schritte wirkt er wie ein beschissenes virtuelles Spiegelbild der
etwa einen Meter von ihm entfernten Tamara, aber das ist eben
Disco. Er lässt die reale Tamara keinen Moment lang aus den
Augen.
Sie sieht den Schweiß, der aus seinem Haar fliegt, als
er den Kopf herumwirft. Für die nächsten paar Sekunden
scheint er vollauf beschäftigt zu sein.
Der andere Greifer, der sie beobachtet, hat Dees mentale
Veränderung offenbar bemerkt (diese plötzliche
verschwommene Kopfbewegung ist verräterisch), und seine
Pupillen verengen sich auf Stecknadelgröße,
während er die Augen noch weiter aufreißt. Dee ist
sich der Pistole als eines schweren Gegenstandes im weichen Leder
der dämlichen, weibischen Tasche zu ihren Füßen
bewusst; ihr enger Rock ist ein Fummel, der sie am
taktisch naheliegenden tödlichen Tritt hindern wird.
Sie könnte schreien, doch damit käme sie in diesem
Lärm nicht weiter. Die einzige Tonlage, die ihn
übertönen würde, wäre unhörbar –
für Menschenohren. Sie öffnet den Mund, pumpt mit
schier rippensprengender Geschwindigkeit die Lungen auf und
stößt einen Ultraschallschrei aus. Sie hofft, dass er
von den Maschinen im Umkreis von hundert Metern gehört wird: »Scheiß-IBM, zu Hilfe!«
Die Musik bricht ab. Es wird hell. Die Menschen blinzeln und
stolpern. Gleichzeitig langt Dee nach unten und tritt mit dem
rechten Fuß aus – nach wie vor als Tanzschritt
getarnt –, was den hochhackigen Schuh in ihre Hand
befördert. Sie hebt ihn hoch wie einen Hammer, um den
Greifer mitten durchs Auge festzunageln. Die Erkenntnis breitet
sich in den Muskeln und Blutgefäßen des Gesichts aus,
als die Lautsprecher auf einmal zum Leben erwachen. Die Stimme
der IBM klingt für Dees soldatenbeschleunigte Sinne jetzt
tiefer und bedrohlicher als alles andere im ›de
Mille‹.
»Eine Klientin der Unsichtbaren Hand wird bedroht; bitte
helfen.«
Der Greifer weicht zurück, und der Mann neben Tamara
ebenfalls. Alle anderen wirken vorübergehend verwirrt, mit
Ausnahme von Tamara, welche Dee mit offenem Mund anstarrt. Bevor
der Soldat sich in Bereitschaftsstellung zurückzieht,
lässt Dee den Blick über die Menge schweifen und
erkennt, dass da und dort im Gewühl noch weitere Personen
sind, die nach bestem Vermögen auf den Hilferuf reagieren;
sie straffen, erheben, ducken sich oder – was für ein,
zwei Maschinen zutrifft – fahren ihre Teleskophälse
aus. Diese Leute beginnen langsam in die Hände zu klatschen
und skandieren: »Raus! Raus! Raus!«
Und Dee schubst den Mann an, und Tamara schubst ebenfalls, und
die beiden Greifer werden von einer Person oder einem Robot zur
nächsten oder zum nächsten geschubst, bis sie aus der
Menge ausgestoßen sind und von zwei wartenden schweren
Motorrädern wegeskortiert werden.
»Okay«, sagt Dee. Sie blickt sich lächelnd
um, zieht den Schuh wieder an und ruft: »Danke euch
allen!«, mit einer mädchenhaft dankbaren
Weitere Kostenlose Bücher