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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Stimme,
worauf der Soldat sich verlegen verdrückt und ihre Wangen
sich mit leichter Röte überziehen.
    Die Musik geht weiter, die Beleuchtung schaltet wieder
herunter.
    Dee tanzt, doch sie weiß, dass es beim nächsten Mal
nicht so einfach sein wird. Vielleicht werden nicht unbedingt
diese Typen wiederkommen, dafür aber jemand anders.
     
    Dee befindet sich in einem kleinen Raum im obersten Stockwerk
eines Hauses am Circle Square, mit Ausblick auf den Ringkanal.
Tamara hat sie in dieses große Haus gebracht, nachdem sie
noch scheinbar endlose Stunden auf der Freiluftparty verbracht
hatte, und sich anschließend entschuldigt, sie wolle gleich
schlafen, da sie morgen früh zur Arbeit müsse.
»Ax wird dir alles Weitere erklären«, sagte
sie.
    Dee ist an die vage menschliche Ausdrucksweise gewöhnt.
Sie bat nicht um weitere Erläuterungen. Ihr Körper und
ihre Nerven sind ebenfalls müde. Sie braucht keinen Schlaf,
aber sie muss sich ausruhen und träumen. Eins nach dem
anderen müssen ihre Ichs abschalten, offline gehen, die
Ereignisse des Tages komprimieren, assimilieren und
integrieren.
    Das Zimmer ist verführerisch behaglich, unmittelbar
über der schrägen Decke trommelt der Regen aufs Dach;
das Gaubenfenster fügt noch weitere augenverwirrende Winkel
hinzu; ein Toilettentisch mit verstöpselten Fläschchen
und Töpfchen, Perlenketten, Halstücher und bunte
Bänder über dem Spiegel, mit Heftzwecken an der Wand
befestigte Modefotos, in einem Regal ein paar Puppen. In einer
Ecke steht ein geschwungener Rattanstuhl mit Satinpolsterung. Es
gibt einen Wandschrank (abgeschlossen) und ein Bett mit
Steppdecke und spitzenbesetzten Kissen. Der Menschengeruch hinter
den Blumen- und Moschusdüften ist ein wenig beunruhigend,
doch im Moment ist es ihr zu viel, ihn zu analysieren.
    Sie kleidet sich aus, faltet die Kleidungsstücke zusammen
oder hängt sie auf, justiert ihre Körpertemperatur und
legt sich aufs Bett. Die Augenlider verdecken die Fensteraussicht
auf die vertraute Realität von Ship City: eine feuchte,
tropfende Stadt der Silikattürme, eine von Kanälen
durchschnittene Stadt, bevölkert von gestrandeten
Sternenfahrern und freien oder versklavten Automaten, ein Ort, wo
die Lebenden und Toten umherspuken. Ihre Ichs wechseln zum
Geschichtenerzähler, der eine neue Episode einer endlosen
Seifenoper spinnt, durchtränkt mit dem ganzen romantischen
Glamour der alten Erde, und sie…
     
    … sie ist die älteste Tochter eines Senators, dazu
bestimmt, seinen Sitz in der Duma und sämtliche Privilegien
seiner demokratischen Salbung zu erben, doch sie wurde von
Agenten der Archipelago Mining Corporation gekidnapped und wird
von deren jungem, dunkelhaarigem und diabolischem
Präsidenten gefangengehalten, der sie in seinen Harem
aufnehmen will und bereit ist, ihr für ihre Einwilligung und
eine lukrative Konzession für die Antarktis das Leben zu
schenken, und die ihrem Vater fanatisch ergebenen
tschetschenischen Leibwächter kämpfen sich durch die
Verteidigungsringe der brutalen Soldaten hindurch, während
sie in Seide und eine Parfümwolke gehüllt auf dem
Balkon der Wohnung eines Kuomintang-Drogenlords im Herzen des
alten New York steht, dabei zusieht, wie die Panzer auf den
Straßen die Schlacht austragen, und darauf wartet, dass die
schwer unter Druck stehenden Tschetschenen mit dem Versprechen
auf ungehindertes Plündern bei den verzweifelten
Stämmen der Südbronx Verstärkung organisieren, und
dann vernimmt sie in ihrem Rücken das Geräusch
verstohlener Schritte, und der Präsident – der, um die
Wahrheit zu sagen, auf unheimliche Weise ihrem Besitzer
ähnelt – fällt vor ihr auf die Knie und sagt ihr,
er liebe sie aus ganzem Herzen und werde verzehrt von Bedauern
und wolle sie freilassen, wenn…
    Und so weiter.
    So sehen die Träume der Androiden – oder vielmehr
der Gynoiden – aus.
     
    Ein Klopfen an der Tür. Im Nu ist sie wieder hellwach,
und ihre innere Uhr sagt ihr, dass es früh am Morgen
ist.
    »Einen Moment«, sagt sie.
    Das kleine Reinigungsungeziefer hat jeglichen organischen
Schmutz von ihrer Kleidung entfernt. Sie schüttelt die
Sachen gedankenlos aus, kleidet sich im Handumdrehen an (eine
nützliche Soldatenfähigkeit, die sich in ihr Ich
kopiert hat) und ruft:
    »Herein!«
    Der eintretende Knabe, der ein Tablett mit Kaffeetasse und
einer Schüssel mit Frühstücksflocken
hereinträgt, wirkt auf den ersten Blick wie

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