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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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sogar hier?« Ich blickte mich um.
»Wo liegt das Problem?«
    Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Die
Hälfte der Bewohner dieser Stadt haben Verbindungen nach
Irland, und ein paar vertreten sehr entschiedene Ansichten. Daher
bringt es nichts, das Maul aufzureißen, zumal in einem
Pub.«
    Was Dave gerne tut, dachte ich. Interessant.
    »Okay«, sagte ich. »Ich bin nicht neugierig.
Ich könnte nicht mal sagen, ob du katholisch oder
protestantisch bist, was die meisten hier sicherlich
könnten. Ich selbst bin nicht religiös, und es ist mir
egal, welche Fahne über mir weht oder was die Politiker
machen, solange sie mich nur in Ruhe lassen.«
    »Was sie nicht tun werden.«
    »Genau da liegt der Hase im Pfeffer!«
    Wir lachten beide. »Und wofür interessierst du dich
nun wirklich?«, fragte ich.
    Sie überlegte eine Weile. »Ich mag meine
Arbeit«, sagte sie.
    »Erzähl mir davon.«
    Und das tat sie, erklärte mir, dass sie sich nicht
bloß mit der technischen Seite beschäftige, sondern
auch die wissenschaftlichen Hintergründe zu erkennen
versuche. Sie sprach über Evolution und Population und deren
Zukunft, und das brachte mich dazu, über SF zu sprechen, und
sie gestand mir, ein paar Dutzend von Michael Moorcocks
Eternal-Companion-Geschichten gelesen zu haben, als sie noch
jünger gewesen sei (oder vielmehr ›jung‹, wie
sie es charmant ausdrückte). Ehe wir es uns versahen,
erklang auch schon die Glocke, die zur Aufgabe der letzten
Bestellungen aufforderte.
    »Im Joanne’s gibt es eine Disco«, meinte
Annette. »Sollen wir hingehen?«
    »Prima Idee«, sagte ich.
    Das war es nicht. Wir waren kaum eine halbe Stunde da, als die
Musik abbrach und der DJ die Gäste aufforderte, ihre Sachen
zu nehmen und in aller Ruhe das Lokal zu verlassen. Wir wussten
alle, was das bedeutete: eine Bombenwarnung. Annette ergriff mit
erstaunlicher Kraft meine Hand und zerrte mich mit einer
Rücksichtslosigkeit, die ich bislang bloß bei der
Party im QM bei ihr beobachtet hatte, durch die Menge.
    Wir gelangten in dem Moment auf die Straße, als
irgendeine Autoritätsperson »Fehlalarm!«, rief
und sich die Richtung des Gewoges umkehrte. Annette hielt dem
Gedränge stand. Als ich sie erstaunt anblickte, bemerkte
ich, dass ihr Gesicht nicht bloß vom Nieselregen nass war.
Sie hatte sich den Parka um die Schultern gelegt und wirkte
deprimiert und verletzlich.
    »Möchtest du wieder reingehen?«, fragte
ich.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie. Ich hielt ihr
den Parka, damit sie hineinschlüpfen konnte. Sie fasste mich
wieder bei der Hand und ging eilig los.
    »Was hast du?«
    »Ach, Gott. Ich habe mich gerade an meine erste Bombe
erinnert.«
    »Ja«, sagte ich, und versuchte, meiner Stimme
einen beruhigenden Klang zu verleihen, »es ist schon
verrückt, wie sehr wir an Bombenalarme gewöhnt
sind.«
    »Das war damals kein Bombenalarm«, sagte sie mit
einem vernichtenden Blick. »Ich befand mich im
Explosionsradius der Bombe. Loyalisten haben eine loyalistische
Bar angegriffen. Ich sah, dass die Leute schrien, aber ich konnte
sie nicht hören.«
    Ich hielt es für besser, sie nicht danach zu fragen, ob
es viele Verletzte geben habe.
    »Tut mir Leid«, sagte ich und drückte ihr die
Hand. »Das hab ich nicht gewusst.«
    Sie blieb stehen, wodurch sie mich fast aus dem Gleichgewicht
geworfen hätte. Ich wandte mich schwankend zu ihr um. Sie
hielt die geballten Fäuste vor sich, als schüttele sie
jemanden durch, der viel kleiner war als ich.
    »Herrgott noch mal!«, fauchte sie.
»Wie ich das hasse! Es kotzt mich an! Wir wollten
uns doch bloß amüsieren, alle miteinander, und irgend
so ein Arschloch muss alles kaputtmachen! Alle haben sie Schuld!
Denn die Bombenwarnungen und Fehlalarme und die üblen
Scherze – das gäbe es alles nicht, wenn nicht
irgendwelche Idioten Ernst machen würden. Ohren und
Füße auf dem Pflaster verstreut!« Sie schloss
die Augen, dann öffnete sie sie wieder, als könnte sie
die Bilder, die sie in ihrer Vorstellung sah, nicht ertragen.
»Dave hat immer gesagt, wir müssten auf die
Unterdrückten hören. Niemand hört auf mich, weil
ich nicht ›unterdrückt‹ bin. Ich bin eine
Scheißprotestantin!« Sie senkte die Stimme zu einem
rauen Flüstern, Überbleibsel einer Vorsicht, die sie
ansonsten in den Wind schlug. »Sie sollen alle zur
Hölle fahren! Zum Teufel mit dem Papst! Zum Teufel mit der
Queen! Zum Teufel mit Irland!«
    So

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