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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Stachelhäuter, bezeichnet in einer wundervollen,
fremdartigen Nomenklatur: Ampulla, Pedicellus,
Schlauchfüße, Madrepore, Radialkanal, Ringkanal,
Steinkanal…
    »Eigentlich nicht.« Ich spielte mit den
kräftigen Pinzetten herum, die wie ein Besteck bereitlagen,
um die zarten, harmlosen Wesen aufzubrechen.
    »Was führt dich her?«
    »Äh…« Ich zögerte. »Ich
wollte dich fragen, ob du Lust hättest, mit mir einen
trinken zu gehen.«
    Sie errötete leicht.
    »Hat das was mit Dave zu tun?«
    »Nein«, sagte ich und überlegte, worauf sie
wohl hinauswollte. »Er hat mir bloß gesagt, ihr
würdet nicht mehr zusammen ausgehen.«
    »Ach! Und wann hat er dir das gesagt?«
    »Vor etwa zwanzig Minuten«, antwortete ich.
    Sie lachte. »Warum hast du so lange
gebraucht?«
    »Ich dachte, es könnte einen unsensiblen Eindruck
machen, wenn ich gleich herkäme.«
    Vielleicht war meine Bemerkung zu direkt, zu aufdringlich
gewesen. Sie wandte den Blick ab, dann sah sie mich mit dem
Anflug eines Lächelns wieder an.
    »Es ist sehr nett von dir, dass du an mich
denkst«, sagte sie. »So einsam und verlassen, wie ich
mich fühle. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich für
so viel Aufmerksamkeit schon wieder bereit bin.«
    Wenn sie mich neckte, konnte ich es auch. »Ich glaube
nicht, dass das lange so bleiben wird.«
    »Also«, sagte sie, »ich hab mir wirklich
nicht jeden Abend die Haare gewaschen.«
    »Sondern dich stattdessen in den gesellschaftlichen
Trubel gestürzt?«
    »Genau.«
    »Aha.« Ich ließ nicht locker.
»Vielleicht findet sich in deinem hektischen Leben ja eine
stille Ecke, wo man einen Drink zu sich nehmen kann?«
    »Oder so.«
    »Oder so.«
    Sie lächelte, diesmal ohne jede Ironie.
    »Einverstanden«, sagte sie. »Wie
wär’s mit neun Uhr heute Abend in der Western
Bar?«
    »Also bis dann«, sagte ich.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und ein Schwall
Studenten platzte herein.
    »Du solltest jetzt besser gehen«, sagte sie.
»Bis dann.«
    Ich trabte über den Gang. »Ja!«, rief
ich, sprang hoch und boxte in die Luft, womit ich ein paar
Nachzügler erschreckte und beinahe eine Neonröhre an
der Decke erwischt hätte.
     
    Das Western war ein ruhiger Pub, aufgemotzt mit ein paar
passenden Dekorationsstücken (wie zum Beispiel Cowboyfotos).
Ich war etwa zehn Minuten zu früh gekommen, stand am Tresen
und hatte ein halbes Pint Bier und eine Zigarette intus, als
Annette gerade in dem Moment hereinkam, als im Fernsehen die
Neun-Uhr-Nachrichten liefen. Der Barkeeper langte hoch und
schaltete einen anderen Sender ein. (Es gab drei, alle von der
Regierung kontrolliert.) Sie trug das Haar lose (es war federnd,
glänzend und frisch gewaschen). Sie trug einen Jeansrock,
der ihr bis zur Mitte der Waden reichte, und eine schwarze
Seidenbluse unter einer bauschigen Jacke, die sie im Gehen
öffnete und abstreifte. Ich bestellte ihr ein Lager mit
Limonellensaft, und wir setzten uns an einen Tisch an der
Wand.
    »Zigarette?«
    »Ja, danke.«
    Ich steckte ihr die Zigarette an, und einen Moment lang sahen
wir einander in die Augen. Plötzlich lachte Annette.
    »Schon komisch«, sagte sie. »Wir kennen
einander gut genug, um auf das Eis brechende Geplänkel zu
verzichten, aber nicht gut genug, um zu wissen, wie es
weitergeht.«
    Ein wacher Verstand, in der Tat.
    »Da ist was dran«, sagte ich Wasser tretend.
»Aber eigentlich kenne ich dich gar nicht, abgesehen davon,
dass wir ein paarmal am selben Tisch gesessen haben oder uns
irgendwo begegnet sind.«
    »Hat Dave nicht über mich geredet?« In ihrer
gespielten Verstimmung schwang Neugier mit.
    »Nein«, sagte ich. »Aber eine wichtige Sache
hat er mir über dich erzählt…«
    »Und das wäre?«
    »Er meinte, du würdest dich nicht für Politik
interessieren.«
    »Ist das alles? Und ich dachte schon, er hätte dir
ebenso viel über mich erzählt, wie ich Sheena über
dich.«
    »Jetzt bist du bestimmt erleichtert.«
    »Klar… Und in der Beziehung irrt er sich auch
noch!«, setzte sie hinzu.
    »Wie meinst du das?«
    »Es stimmt nicht, dass ich mich nicht für Politik
interessieren würde. Ich rede bloß nicht
drüber.«
    »Dein gutes Recht«, meinte ich. »Aber warum
nicht?«
    »Ich bin in Belfast aufgewachsen«, sagte sie.
»Als wir wegzogen, war ich zehn. Dort gibt es ein
Sprichwort: Was du auch sagst, sag nichts. Meine Familie lebt
noch dort, und ich besuche sie hin und wieder. Eine alte
Gewohnheit.«
    »Und die gilt

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