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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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aufgestellt, es gab ein Buffet
und Tabletts voller Getränke und eine Bar am anderen Ende
des Raums. Ich nahm ein Glas Whisky vom Buffet und hielt Ausschau
nach Annette. Die Musik hörte auf, ein Tanz endete, die
Leute strebten auf die Tanzfläche oder von ihr herunter.
    Annette tauchte aus der Menge hervor, als teilte sich diese
nur für sie – ich hatte den Eindruck, sie würde
einen Moment lang von einem Scheinwerfer erfasst, sodass sie
leuchtete, während alle anderen dunkler wurden. Sie trug
einen Kranz aus Blättern und kleinen roten Rosen, und ihr
Kleid begann mit einer Krause am Hals und endete in einem Volant
am Boden. Das Kleid hatte ein Rosenmuster, rot und grün auf
schwarzem Grund, und darüber trug sie eine
Organzaschürze mit Rüschen von der Hüfte bis
über beide Schultern, die Bänder vorne zur Schleife
gebunden. Ihr Gesicht war vom Tanzen gerötet, und sie
lächelte. Als sie vor mir stehenblieb, schnupperte ich ihr
starkes, angenehm duftendes Parfüm.
    »Hallo, John, haste mal ’ne Fluppe?«, fragte
sie. »Könnte jetzt gut eine vertragen.«
    Als ich ihr die Zigarette ansteckte, fasste sie mich bei der
Hand und zog mich zu einem Tisch mit einem einzelnen Stuhl. Sie
schob einen zweiten Stuhl heran und nahm mir gegenüber
Platz, wobei sich unsere Knie beinahe durch ihre raschelnden
Unterröcke hindurch berührt hätten.
    »Ah, das tut gut«, meinte sie. Ein Ober bot ihr
ein Tablett an – sie langte am Wein vorbei und wählte
ein Glas Whisky aus. »Danke, dass du gekommen
bist.«
    Ich hob das Glas. »Ich danke dir. Du siehst
ungewohnt aus. Wunderschön.«
    »Äh… vielen Dank.«
    »Wunderschön auf eine andere Art«,
verbesserte ich mich eilig.
    Sie zuckte mit den Lippen, um mir klarzumachen, dass ihre
Verstimmung bloß gespielt war.
    »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du
Brautjungfer bist«, sagte ich.
    »Ich wollte dich nicht abschrecken.«
    Ich lachte unsicher, denn ich wusste nicht, was ich davon
halten sollte. »Dein Kleid gefällt mir«, sagte
ich.
    Sie beugte sich näher zu mir und flüsterte
vertraulich: »Mir auch. Ich hab mich mächtig
angestrengt, eins zu bekommen, das ich auch auf Parties tragen
kann, und nach längeren Diskussionen mit Irene – das
ist die Braut, eine alte Schulkameradin – einigten wir uns
auf dieses hübsche Stück von Laura Ashley. Dann fand
sie auf einmal, es wäre nicht geschmacklos und brautjüngferlich genug, deshalb hat sie ihrer Mom das
hier abgeschwatzt.« Sie zupfte angewidert an den
Rüschen der Schürze.
    »Ach, ich weiß nicht«, meinte ich.
»Die Schürze gibt dem Ganzen doch erst den letzten
Pfiff. Du solltest sie wirklich für Parties behalten.«
Ich hatte nur halb im Scherz gesprochen – ihre Aufmachung,
die Vorstellungen von weiblicher Unterwürfigkeit
heraufbeschwor, war auf eine unbestreitbar sexistische Art
sexy.
    »Ja, klar, wohl damit man mich für eine Nutte
hält, oder?« Sie grinste.
    »Niemals«, sagte ich. »Lady, darf ich um
einen Tanz bitten?«
    »Also«, antwortete sie nachdenklich,
»vielleicht wenn du mir nachgeschenkt hast und ich
ausgetrunken habe.«
     
    Als sich dieser Vorgang mehrfach wiederholt hatte, stellte
Annette mich einigen ihrer Freunde und Verwandten vor. Statt des
Disco-Gehopses wurde nun traditioneller, jedoch viel wilder
getanzt, eine Art schottischer Tanz. Annette zog mich auf die
Tanzfläche und schleuderte mich umher, bis ich auf einmal,
so als erinnerte ich mich an ein früheres Leben,
feststellte, dass ich die Schritte und Bewegungen kannte und
Annette – sowie die verwirrende Abfolge anderer Partner
– meinerseits umherschleudern konnte.
    Während ich tanzte, hüpfte, stampfte, wirbelte,
stemmte und schwenkte, bemühte ich mich dahinterzukommen,
woher ich das alles kannte, dann wurde mir bewusst, dass es auf
meinen Vater zurückging. Seine Interpretation des Marxismus
– die sogar für seine in sozialer Hinsicht tolerante,
in politischer Hinsicht aber dogmatische Partei breit gefasst war
– befürwortete die Kultur in all ihren Formen.
Folglich bekam ich Klavier- und Tanzunterricht – und
später, als das Hänseleien seitens der Spielkameraden
nach sich zog, auch Boxunterricht. Außerdem besuchten wir
das Wissenschaftsmuseum, das Museum für Naturgeschichte, den
Zoo und das Theater. Er interessierte sich für alle
möglichen Dinge. Er war für mich da.
    Und sonntags im Hyde Park erzählte er ungläubigen
Zuhörern, dass die Demo der

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