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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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weißt du, wer du bist«, sagt Ax
leise. Dee ist sich nicht sicher, ob er zu ihr gesprochen hat.
Das Zittern ist aus seinem Körper und seiner Stimme
verschwunden und in die vibrierende Klinge übergegangen.
»Du bist eine Person. Du bist frei. Hast du dir jemals
vorgestellt, was du den Menschen, die dich wie ein Stück
Fleisch behandelt haben, antun möchtest?«
     
    Hier draußen, in den feuchten Niederungen zwischen zwei
Armen der Stadt, ist es sogar für einen Sechsttag ruhig. Man
hört lediglich das Summen des Dinghy-Motors, hin und wieder
das Zischen einer Transportrakete und die Schreie der adaptierten
Vögel: das dem Piepen eines verlorenen Satelliten
ähnelnde Rufen der Roststelzen, das Quaken der
Schmutzschnepfen und das Krächzen der Sandmöwen. Der
Sechsttag ist für die meisten Menschen ein Tag, an dem sie
ein wenig arbeiten, aber nicht viel.
    (Manche Leute sind der Ansicht, der Tag habe seinen Namen von
der Anzahl der trotz eines Katers Arbeitenden – oder wegen
eines Katers nicht Arbeitenden –, doch das ist purer
Mythos. Vor mehr als einem marsianischen Jahrhundert vertrat Reid
die Ansicht, es sei unangemessen, die Wochentage weiterhin nach
den Göttern des Sonnensystems zu bezeichnen. Da man sich auf
andere Namen nicht einigen konnte, geht die Woche
folgendermaßen ihren Gang: Ersttag, Zweittag, Dritttag,
Vierttag, Fünfttag, Sechsttag, Siebenttag. Ein Tag hat
fünfundzwanzig Stunden und zehn Minuten; man hat sich darauf
geeinigt, den ersten sechs Tagen fünfundzwanzig und dem
siebten sechsundzwanzig Stunden beizumessen. Das Jahr hat
hundertzehn Wochen. Mehr oder weniger. Die ernsthafte Chronologie
misst die Zeit in SI-Vielfachen von Sekunden, berechnet nach der
Uhr des Raumschiffs, das vor etwa 6,4 Gigasekunden aus dem Malley
Mile hervorkam.)
    Tamaras Boot rumst gegen das Kanalufer, während sie mit
minimaler Fahrt daran entlangfährt. Sie befindet sich in
einer Kapillare des Ringkanals. Das flache künstliche
Flüsschen trägt sie vom Stadtzentrum fort, den Feldern
entgegen. Das Menschenviertel liegt zu ihrer Rechten, das
Fünfte Viertel zu ihrer Linken. Dazwischen erstreckt sich
dieses Ödland, nicht ganz Sumpf, nicht mehr Wüste, aber
auch nicht Ackerland. Vom Maschinenreich im Fünften Viertel
wagen sich Biomechanismen dort hinein, Tamaras übliche
Beute.
    Eine Sandmöwe senkt sich hundertfünfzig Meter voraus
und dreißig Meter vom linken Ufer entfernt schreiend herab.
Tamara erhöht die Drehzahl und duckt sich, während
weitere Möwen dazukommen. Sie zanken sich kreischend um ein
schwarzes Etwas. Das Boot quert diagonal den Kanal. Tamara zoomt
mit ihrem rechten Auge. Das schwarze Etwas hat ein flatterndes
Anhängsel. Eine hartnäckige Möwe hält es mit
dem Schnabel fest und nimmt den hüpfenden Flugversuchen den
Schwung.
    »Anhalten«, befiehlt Tamara dem Bootsrobot, der
gehorsam den Motor drosselt und am Ufer festmacht, während
Tamara aussteigt, in der Hand einen Fänger mit langem Stiel.
Im Laufen zieht sie die Pistole. Der Knall einer Platzpatrone
scheucht die Möwen auf, die empörte Kreise ziehen.
Während Tamara durch den feuchten Sand stapft und über
Grassoden springt, schleppt sich das schwarze Objekt – ein
warzenbesetzter, gummiartiger Ball von etwa einem Drittelmeter
Durchmesser und einem mindestens einen Meter langen Fortsatz zu
einer Stelle, die verdächtig nach Treibsand aussieht. Als
sie noch etwa vier Meter entfernt ist, verspürt Tamara
hinter dem Nasenrücken ein Prickeln. Sie bleibt stehen und
schnüffelt. Das Prickeln bleibt konstant – gut. Das
bedeutet, dass die Radioaktivität eingekapselt ist. Dennoch
ist das Ding unangenehm heiß. Nicht gefährlich, doch
sie muss vorsichtig sein.
    Sie umkreist es vorsichtig, schneidet ihm den Weg zu der
feuchten Stelle ab. Das Ding bewegt sich auf sie zu:
Peitschenschlag nach vorn, den Rumpf nachziehen, ein Hüpfer;
Peitschenschlag nach vorn, den Rumpf nachziehen, ein Hüpfer.
Dann bleibt es stehen. Die Schwanzspitze richtet sich auf und
schwenkt hin und her, dann drückt sie sich an den Boden.
Tamara tritt vor und gerät ins Stolpern, als sich ihr linker
Fuß mit einem unerwartet saugenden Geräusch vom Boden
löst. Das gummiartige Glied schnellt zurück.
    Tamara hockt sich hin und streckt den Fänger vor, ein
simpler, ein paar Meter langer Mechanismus mit einer primitiven
Robothand am Ende und zwei Haltegriffen, damit sie ihre
Reichweite einhändig

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