Die Marseille-Connection
er selbst die einzelnen Mitglieder ausgesucht hätte. Und er hatte auch das Entstehen des Vertrauens ermöglicht, das dem Traum entsprang, all diejenigen zu bescheißen, von denen sie von klein auf beschissen worden waren. Sunil konnte einen mit ein paar Witzen davon überzeugen, dass der verrückteste Plan realisierbar war. Die Mitstudenten und die Dozenten hatten sie für vier verwöhnte Idioten aus begütertem Haus gehalten, dabei waren sie nur vier junge Leute, die mit dem Leben nicht zurechtkamen, das ihnen vorherbestimmt war, obwohl sie es weder gewählt noch gewollt hatten. Dann hatten sie die Kraft gefunden, sich dagegen aufzulehnen, und etwas Undefinierbares, aber Unentbehrliches war in ihren Köpfen und Herzen entstanden. Dadurch war es gar nicht mehr so schwierig, so zu tun, als würde er sich von der schönen Ulita rekrutieren lassen, um den FSB zu täuschen. Gut, der hatte ihn seinerseits hereingelegt, aber das war nicht weiter tragisch. Alles ließ sich ertragen.
Beim Rennen dachte Aleksandr an Inez’ Bemerkung über jene Unbekannten, an deren Organen sie sich bereichern würden: »Auch eine Art des Dienstes an der Menschheit.« Hinreißend. Einfach hinreißend. Und tiefgründig. Diese wenigen Worte enthielten die Wahrheit über die ganze Welt. Aber sie war auch von Sunil Banerjees Genialität angesteckt worden. Als er sie kennenlernte, war sie unbeholfen und vom Gewicht ihrer Bankiersfamilie geradezu erdrückt. Auch Giuseppe waranders gewesen. Ein etwas großmäuliger, aber sympathischer Italiener, terrorisiert von der Aussicht, die Kriege seiner Familie austragen zu müssen. »Ich bin dazu verdammt, ein Arschloch zu werden, wie alle Camorristi«, klagte er, wenn er einen über den Durst getrunken hatte.
Und Sosim selbst? Er war bei seinem Onkel Didim aufgewachsen, bis man den ins Gefängnis von Jekaterinburg gesteckt hatte, wo er unter den Tritten der Wachen starb, weil er die Ehre der Brigade nicht verraten wollte. Der kleine Sosim hatte Vater, Mutter und zwei Schwestern gehabt, aber als er fünf war, wurde ihm verboten, sie je wiederzusehen, denn er war ab da das Eigentum von Witali Saytsew. Den Grund für diese unglaubliche Grausamkeit hatte er erst viele Jahre später erfahren, als sein Onkel beschloss, ihm anzuvertrauen, dass sein Vater hätte sterben sollen, weil er die Organisatsia beraubt hatte, es ihm aber gelungen war, sich auf diese Weise freizukaufen. Sosim wäre es lieber gewesen, sein Vater wäre gestorben und hätte ihm als Erbe die Trauer hinterlassen. Aber er war ein Feigling gewesen. Und Didim war von nicht zu überbietender Dummheit. Als Sosim erfuhr, dass sein Onkel tot war, zog er Sportzeug und Laufschuhe an und rannte bis zur Erschöpfung, um keine Freudentänze aufzuführen.
Dann war er Sunil Banerjee begegnet, und alles hatte sich geändert. Der Inder stand dem Dasein unerschütterlich gegenüber und führte sie jetzt in ein Abenteuer ohnegleichen. Wenn alles gutgegangen wäre, dann wäre er, Sunil, jetzt schon frei gewesen, und niemand würde mehr bestimmen, was er mit seinem Leben anzufangen hatte. Vielleicht würde Inez ihm dann auch folgen. Garantiert war das nicht. Er entsann sich des Sohns eines bekannten Mafioso aus Hongkong, eines Mitstudenten, der seine Biyu über alles liebte, sie aberam Tag der Rückkehr nach Hause zurückließ, weil sein Vater keine Beziehungen duldete, die nicht der Stärkung des Zusammenhalts zwischen den Triaden dienten. In der Tat hatten Inez und er bestimmte Themen nie angeschnitten. In seiner jetzigen Situation wäre es jedoch schon ein Fortschritt, Inez’ Entscheidungen und Pläne genauer zu kennen.
Eine Dusche, ein rasches Frühstück, und später durch den kalten Herbstregen direkt nach Saint-Barnabé, den Befehlen von Leutnant Winogradowa gemäß. Um keinen Verdacht zu erwecken, tat er so, als wolle er um den Preis des Hauses feilschen, dann steckte er der Mitarbeiterin des Maklers unterm Tisch fünfhundert Euro zu, um die Verkaufsformalitäten zu beschleunigen. Mit den Fahrzeugen ging es leichter. Der Laden des Autohändlers war so gut wie leer, und es drängte den Eigentümer, rasch Umsatz zu machen, um die Gläubiger auf Abstand zu halten. Es war für beide ein gutes Geschäft.
Einrichtung, Kleidung der Angestellten, Essen, Bier, Musik: Das EL Zócalo war eine typisch mexikanische Bar, alles strikt authentisch. Verschiedene Gäste, Mittelklasse. Zufrieden bemerkte Garrincha, dass weder Junkies noch Dealer noch Huren zu sehen
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