Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marsfrau

Die Marsfrau

Titel: Die Marsfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:
hinterlassen, war
ziellos im Zentrum der Stadt herumgeschlendert mit wirren
Gedanken, bar jedes Entschlussvermögens. Und auch jetzt,
angeregt durch die würzigscharfe Flüssigkeit, floss sein
Denken träge. Er fragte sich, was sie wohl gemeint haben
könnte, als sie davon sprach, dass es kein Zuckerlecken
werden würde. Und da gab es außerdem den
Unsicherheitsfaktor, dass ihre Vorstellungen nicht mit denen
des Rates übereinstimmen mussten. Freilich, juristisch konnte
Annes Tod nicht mit seinem Fehlverhalten in einen
Zusammenhang gebracht werden, aber moralisch…
Allan empfand, wie sehr es gerade hier auf die Haltung der
Alten ankommen würde. Und ihn erfasste auf einmal tiefe
Dankbarkeit zu dieser Frau, die allen Grund gehabt hätte, ihn
zu verdammen. Statt dessen bot sie ihm offenbar eine Chance;
jetzt, mit einigen Stunden Abstand, empfand Allan es so. Es
war eine Chance, vielleicht die seines Lebens. Und Allan nahm
sich vor, sie zu nutzen, gleichgültig, wie schwer es ihm fallen
würde. –
    Die Verhandlung vor dem Rat fand bereits drei Tage nach
dieser für Allan Nagy so denkwürdigen Unterredung mit
Ramona-Ros Müller statt. Sie dauerte nur wenig mehr als eine
Stunde und begann mit dem Plädoyer des Vorsitzenden, eines
heiter wirkenden jungen Mannes, der davon sprach, dass es
eine Errungenschaft sei, eine soziale Ordnung aufgebaut zu
haben, die menschliches Fehlverhalten aus Bereicherungssucht
eigentlich ausschließe. Allerdings
– und das vorliegende
Beispiel beweise das – sei die Erziehung der Gefühle von
subjektiven Wesenszügen stark beeinflusst. Der Fall Nagy
wiege besonders schwer, weil hier Egozentrismus und
Leidenschaft eng verknüpft die Fehlhandlung auslösten.
Egozentrismus sei nicht entschuldbar. Hier liege persönliches
Versagen, verbunden mit vernachlässigter Charakterbildung,
vor. Nagy habe gegen allgemeine Normen verstoßen.
Allerdings ließen die meisten der vorliegenden Beurteilungen
den Schluss zu, dass er wandlungsfähig sei. Nun sei aber
beträchtlicher Sach- und ideeller Schaden entstanden. Dies und
das Bestreben des Rates, einen positiven Wandlungsprozess
anzustoßen, natürlich auch die Tatsache, dass Nagy sein
Vergehen gestanden habe, begründeten den Vorschlag: Er solle
bis zur ersten Realisierungsstufe an der Entwicklung dieser
Zwitteralge als im Normalfall gleichberechtigtes Teammitglied
mitarbeiten. Allerdings solle ihm die Möglichkeit verwehrt
werden, zusätzliche Arbeitszeit in Anspruch zu nehmen, und
bei erwartet hoher Leistung dürften in der Bewährungsphase
an ihn keine Leistungsbons ausgegeben werden. Der Prozess
werde dann mit einer zweijährigen unwählbaren Tätigkeit –
wahrscheinlich auf einer Versuchsstation – abgeschlossen.
    Allan Nagy hatte ohne einen Rechtfertigungsversuch dem
zugestimmt Er war so ehrlich zu sich selbst, dass er erkannte,
es gab hier nichts zu rechtfertigen.
    Der Vorschlag des Rates wurde daher sofort zum Beschluss
erhoben, und die Zusammenkunft endete im Einverständnis
aller.
    Allan Nagy fühlte sich erleichtert, als sei ihm eine Last von
den Schultern genommen, als könne er erst jetzt den
Mitmenschen wieder in die Augen sehen. Und in diesem
Augenblick empfand er die letzten Jahre als verlorene, spürte,
dass sein Leben trotz Wera und Theres ohne Inhalt verlaufen,
dass sein Sehnen nach persönlicher Weiterentwicklung
unerfüllt geblieben war.
    Als sich Nagy aufgeregt und klopfenden Herzens am Tag
nach der Ratsentscheidung seiner früheren und künftigen
Arbeitsstätte näherte, tat er es mit der ehrlichen Absicht,
wieder gut zu machen. Wenn so etwas überhaupt möglich sein
sollte, tat er es mit Freude und Elan, trotz der auferlegten
Einschränkungen.
    Auf dem Korridor, der zu den Arbeitsräumen der Gruppe
Faunella führte, flackerte eine defekte Beleuchtungsplatte. Die
davon ausgehende Unruhe, das erschwerte Lesen der
Türschilder, sein erregter Kreislauf ließen Nagy zögern. Seine
Hände wurden feucht. Als er sich zum Eintreten in das Zimmer
der Leiterin entschlossen hatte, wurde die Tür von innen
temperamentvoll aufgerissen, und er stieß mit Marie Marowa
zusammen. Ihr fiel ein Journal zu Boden. Beide bückten sich
gleichzeitig, um es aufzuheben, er verlegen, sie ein wenig
ärgerlich. Sie stießen abermals aneinander. Aus dem Zimmer
drang meckerndes Lachen.
Nagy murmelte eine unverständliche Entschuldigung.
Marie sagte anzüglich: „Ich hoffe, du bist immer so
    temperamentvoll!“ Und sie fragte: „Nagy,

Weitere Kostenlose Bücher