Die Maschen des Schicksals (German Edition)
versprechen.
Julianna, die inzwischen wieder studierte, rief Courtney an. Sie telefonierten zwanzig Minuten.
„Ich vermisse dich so“, sagte Courtney zu ihrer Schwester und bemühte sich, nicht loszuheulen. Sie presste den Hörer fest ans Ohr, als könne sie so Julianna näher sein.
„Wie geht es in der Schule?“
Sie hatte damit gerechnet, dass ihre Schwester danach fragen würde. „Ganz gut.“ Courtney wollte nicht eingehender über dieses Thema sprechen. Im Moment hatte sie gewichtigere Sorgen als ihre Schwierigkeiten, noch andere Freundinnen zu finden außer Annie Hamlin. Oder das damit zusammenhängende Gefühl von Einsamkeit, das sie häufig bedrückte.
„Erzähl mir nicht so was“, sagte Julianna streng und in einem Tonfall, der so sehr dem ihrer Mutter ähnelte, dass Courtney fast der Atem stehen blieb. „Ich möchte wissen, wie es wirklich aussieht.“
„Schrecklich.“ Das war die Wahrheit. „Ich dachte, wenn ich abnehme, wäre ich sofort beliebt bei allen“, gestand Courtney. „Dass die Jungs mich zum Beispiel nach meiner Telefonnummer fragen, aber so ist es überhaupt nicht.“ Natürlich interessierte sie nur ein bestimmter Junge, und das war Andrew Hamlin. Dummerweise hatte er eine feste Freundin.
Annie meinte, Melanie würde in einer Traumwelt leben und Andrew hätte genauso wenig eine feste Beziehung mit ihr wie mit Britney Spears. Allerdings sah Courtney das anders, schließlich hatte sie die beiden schon einmal miteinander beobachtet.
„Zwölf Kilo sind eine ganze Menge. Ich bin stolz auf dich. Damit geht es dir jetzt besser, oder?“
„Gesundheitlich, meinst du? Ja, ich denke schon.“ Sie fühlte sich viel wohler, jetzt, da die Pfunde runter waren. Sicher war sie auch selbst stolz auf diese Leistung, trotzdem war so vieles nicht eingetroffen, was sie sich erhofft hatte. Eigentlich schien alles genauso wie vorher. Wenn man es richtig betrachtete, hatte sich lediglich die Anzeige auf Grams alter Waage verändert. Na gut, und die Jeans saßen jetzt besser.
„Ruf mich an, wenn du mich brauchst“, sagte Julianna. „Wirklich, Court.“
„Okay. Sag mir Bescheid, wenn du was von Dad hörst.“
„Mach ich“, versprach ihre Schwester.
Courtney war froh über den Anruf ihrer Schwester. Sie wünschte, sie könnten öfter telefonieren. Auch wenn Julianna älter und schon fast seit drei Jahren von zu Hause weg war, pflegte sie ein enges Verhältnis zu ihrem Vater. Viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, hatte Courtney sich nicht viele Gedanken darum gemacht, wie es ihrer Schwester ging.
Am Mittwochmorgen, acht Tage nach der letzten Mail ihres Vaters, fühlte Courtney sich nicht in der Lage, zur Schule zu gehen. Grams meinte, sie würde das verstehen, ermutigte Courtney aber, sich zu überwinden.
„Du wirst nichts ändern können, wenn du den ganzen Tag am Telefon hockst“, erklärte ihre Großmutter völlig zu recht.
Nachdem sie zwei Nächte kaum geschlafen hatte, hoffte Courtney, sich ein wenig ausruhen zu können. Aber es stimmte, was Grams sagte. Sie mochte vielleicht noch nicht viele Freunde gefunden haben, aber es war besser, wenn sie zur Schule ging. Besser, als zu Hause herumzuhängen, zu warten und sich Sorgen zu machen.
Mike, Andrews Freund, holte sie ab, um sie zur Schule mitzunehmen. Courtney gab ihm pro Woche zehn Dollar und wusste es zu schätzen, dass sie nicht mehr den Bus nehmen musste. Das einzige Problem dabei war Mike, der sehr schüchtern zu sein schien. Meistens sagte er kaum ein Wort, weder auf dem Hinweg noch auf dem Rückweg. Anfangs hatte sie versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Aber nachdem er kaum darauf reagiert hatte, gab sie es auf.
Überraschenderweise entdeckte Mike ausgerechnet an diesem Morgen, dass er reden konnte.
„Hast du schon was von deinem Dad gehört?“, fragte er, als sie in seinen fünfzehn Jahre alten Honda stieg.
„Noch nicht.“
„Machst du dir Sorgen?“
„Was meinst du denn?“ Sie wollte nicht sarkastisch werden, aber das war echt die blödeste Frage überhaupt.
„Ich denke, du machst dir Sorgen“, vermutete er.
Courtney schloss die Augen, lehnte sich gegen das Fenster an ihrer Seite und betete, dass eine E-Mail von ihrem Vater da wäre, wenn sie wieder nach Hause kam.
„Hast du dich auf den Englisch-Test vorbereitet?“, fragte er als Nächstes.
Sofort richtete sie sich auf. „Wir schreiben eine Arbeit?“ Bei der ganzen Sorge um ihren Vater hatte sie gar nicht aufgepasst. „In
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