Die Maschen des Schicksals (German Edition)
wusste, dass er sich bemühte, trotzdem für sie da zu sein. Dafür liebte sie ihn. Jetzt, da sie aufgehört hatte, sich selbst zu bemitleiden, wurde ihr klar, wie schwierig die Situation für ihn war. Er vermisste seine Kinder furchtbar und schrieb immer wieder von der Zeit, wenn er wieder zu Hause wäre. Dieses Jahr sollte das längste in ihrem gemeinsamen Leben werden.
Das einzige Problem in Seattle war, dass Courtney immer noch niemanden in ihrem Alter kennengelernt hatte. Nach ihrem Horrorerlebnis, als sie auf die ganzen superschlanken Mädchen vom Schwimmteam getroffen war, mied sie das Schwimmbad montags und mittwochs – die Tage, an denen die Gruppe trainierte.
Sie schwamm ihre Runden dreimal die Woche und fuhr an den anderen Tagen viel Fahrrad. Courtney war sogar zur letzten Strickrunde geradelt, obwohl ihre Großmutter fand, dass es im Stadtverkehr von Seattle zu gefährlich war. Die fünf Kilometer waren keine leichte Strecke gewesen, und sie konnte sich anschließend wirklich dazu gratulieren, dass sie sie unbeschadet überstanden hatte. Es stellte eine regelrechte Herausforderung dar, die steilen Anhöhen von Seattle zu bewältigen. Lance Armstrong wäre sicher auch außer Atem gewesen. Einmal musste sie anhalten, vom Rad steigen und schieben, weil es ihr zu anstrengend wurde. Ihr nächstes Ziel war, es den ganzen Capitol Hill, ohne anzuhalten, hochzuschaffen. Das erforderte Übung, doch irgendwann würde sie das auch hinkriegen.
„Gehst du schon wieder?“, erkundigte sich ihre Großmutter, als Courtney die Treppe heruntergepoltert kam. Sie trug ihre Shorts und ein T-Shirt, den Fahrradhelm unter dem Arm.
„Es dauert nicht lange, Grams.“ Vergangene Woche war aus dem „Grandma“ das kürzere „Grams“ geworden. Sie fand, „Grandma“ klang zu kindisch, außerdem war das Wort einfach zu lang.
„Sei vorsichtig“, rief Vera und blickte kurz vom Bildschirm auf.
„Ja, versprochen.“
„Wann kommst du zurück?“
Courtney sah auf ihre Uhr. „Gib mir eine Stunde, okay?“
Grams antwortete nicht, deshalb nahm Courtney an, sie hatte es nicht gehört, wie so oft. Sie setzte den Helm auf und streifte die Handschuhe über, als sie zur Garage ging, in der ihr Fahrrad stand.
Sie fuhr gerade mit Höchstgeschwindigkeit, den Wind im Gesicht, als sie eine bekannte Gestalt auf dem Parkplatz des Supermarkts bemerkte. Bethanne sah sie im selben Moment und hob zur Begrüßung die Hand. Courtney wäre vorbeigefahren, aber Bethanne winkte sie zu sich heran.
Courtney radelte auf Bethanne zu, die offensichtlich gerade eingekauft hatte. Ein gut aussehender Junge mit breiten Schultern und dunklem Haar schob ihren Einkaufswagen zum Auto, um die Waren einzuladen.
„Hallo“, rief Courtney ein wenig außer Atem. Sie griff nach ihrer Wasserflasche und nahm einen Schluck.
„Grüß dich, Courtney. Ich wollte dir meinen Sohn Andrew vorstellen. Er arbeitet hier halbtags – wie du siehst.“ Sie deutete auf seinen Arbeitskittel mit dem aufgedruckten Firmenlogo.
Bei der letzten Strickrunde hatte sie von ihren Kindern gesprochen, aber Courtney war nicht richtig bei der Sache gewesen. Es waren zwei, wie sie sich erinnerte – ein Junge und ein Mädchen.
„Hi“, sagte Andrew nicht gerade sehr begeistert.
„Hi.“ Großartig, dass sie ihm jetzt so nass geschwitzt, außer Puste und in Shorts begegnete. Sie fühlte sich wohler, wenn sie ihre Beine bedeckt hatte, was auch sonst meist der Fall war.
„Courtney ist in meinem Strickkurs“, erklärte Bethanne ihrem Sohn. „Sie ist das Mädchen, von dem ich euch erzählt habe. Sie wird diesen September an der Washington High in der Abschlussklasse anfangen.“ An Courtney gerichtet fügte sie hinzu: „Andrew macht jetzt auch seine Prüfung.“
„An der Washington?“
Er nickte.
„Hast du nicht gesagt, du hättest noch eine Karte für das Spiel der Mariners heute Abend?“, fragte Bethanne ihren Sohn, und bevor er darauf etwas erwidern konnte, schlug sie vor: „Du solltest Courtney dazu einladen. Sie hat bisher hier kaum junge Leute getroffen, und das wäre doch eine gute Möglichkeit für sie, deine Freunde kennenzulernen.“
„Das brauchst du aber nicht“, sagte Courtney schnell, der es peinlich war, dass Bethanne ihren Sohn in diese schreckliche Situation gebracht hatte.
„Hast du Lust mitzukommen?“, fragte Andrew sie.
„Ich denke schon.“ Obwohl sie so klang, als wäre es keine große Sache, war es das doch. Plötzlich war sie total aufgeregt,
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