Die Maske
Warum…?
Sie wollte doch weglaufen, entfliehen.
Dann erreichte sie der Schmerz. Er war einfach furchtbar. Er raubte ihr das Denken, er nahm ihr die Sicht, denn die pechschwarzen Schatten verdeckten alles.
Wa rum legte man ihr eine Decke über, warum…? Sie wollte die Decke fortschieben und schaffte es, die Arme anzuheben. So konnte sie ihre Hände sehen. Blut… sie waren voller Blut! Ihr Blut!
Es war der letzte Gedanke im Leben der jungen Novizin. Die schwarzen Schatten vergrößerten sich und umfaßten sie mit ihrer alles bedeckenden Fläche.
Aus, vorbei…
Beim letzten Atemzug der jungen Novizin quoll Blut aus dem Mund und legte sich schaumig auf ihre Lippen…
***
Es war nicht nur warm, sondern auch schwül geworden. Schon nach wenigen Schritten geriet ich ins Schwitzen, so daß ich froh war, den Schatten aufsuchen zu können.
Ich fand einen Platz an der Klostermauer, wo wilder Wein schlangengleich hochrankte. Dort schaute ich den Nonnen hinterher, die ihrer täglichen Arbeit im Garten nachgingen.
Es existierte ein fester Plan. Ein jeder mußte jede Arbeit tun. Man wechselte sich ab.
Allmählich machte ich mir Sorgen um meinen Freund Suko. Er hätte eigentlich schon hier sein müssen. Er war ein Mensch, auf den man sich verlassen konnte. Wenn er versprach zu fahren, dann fuhr er auch und wenn es tote Hunde regnete. Der Himmel war klar und sonnig. Möglicherweise war er auch im Verkehr steckengeblieben oder hatte andere Schwierigkeiten bekommen, hoffentlich keine schwarzmagischen.
Die Warterei fiel mir schwer. Auch das Wissen, daß etwas lauerte, uns etwas umgab, was nicht zu sehen und zu fassen war. Ich hoffte stark, daß die Äbtissin die Beichte der jungen Nonne sehr schnell hinter sich brachte und sich mir widmen konnte.
Meine Gedanken drehten sich um die Urmauern des Klosters. Steckte dort möglicherweise des Rätsels Lösung? Verbarg sich da etwas, das man mit dem Begriff teuflische Rache bezeichnen konnte? Hatte die Maske dort ihren Ursprung gehabt?
Davon konnte ich ausgehen, mußte es aber nicht, es war eine Möglichkeit unter vielen.
Die kleine Kapelle sah ich von meinem Standort aus nicht. Ich wollte auch nicht länger in der Hitze stehen und betrat wieder die kühlen Räume des Kloster, wo ich die erste Nonne ansprach, die mir über den Weg lief.
»Sagen Sie bitte, ob es hier noch ein zweites Telefon gibt?«
»Nein, nur das im Zimmer der Ehrwürdigen Mutter!«
Ich runzelte die Stirn. »Eigentlich müßte ich telefonieren.«
»Tun Sie es.«
»Ohne Begleitung soll ich das Büro…?«
Das Gesicht der Nonne verzog sich zu einem Lächeln. Zahlreiche Falten entstanden an den Augenwinkeln. »Warum denn nicht, Mr. Sinclair? Sie sind Polizist. Wenn Sie es nicht tun sollen, wer dann? Ihnen kann man doch trauen.«
»Das schon, aber…«
Die Nonne legte mir eine Hand gegen den Rücken. »Gehen Sie, Mr. Sinclair. Den Weg kennen sie ja. Und es ist auch nicht abgeschlossen, wir vertrauen uns.«
»Okay, danke.«
Das Büro der Äbtissin fand ich erst nach einigem Suchen. Die Gänge waren einfach zu weiträumig angelegt worden. Es hatte sich nichts verändert, das schwarze Telefon stand noch am gleichen Fleck. Der Schweiß auf meiner Stirn war mittlerweile kalt geworden. Ich nahm den Hörer mit spitzen Fingern hoch und wählte die private Nummer meines Freundes Suko. Dort meldete sich niemand.
Dann rief ich unseren gemeinsamen Chef, Superintendent Sir James Powell, an. Wir hatten zwar Samstag, aber wie ich ihn kannte, befand er sich im Büro.
Es stimmte. Sir James, pflichtbewußt, hockte hinter seinem Schreibtisch. Was hätte der alleinlebende Beamte auch sonst machen sollen. Er klang erfreut, als er meine Stimme hörte.
»Wie kommen Sie voran, John?«
»Nicht besonders. Ich trete auf der Stelle.«
»Noch keine Spur?«
»Das schon. Hat Suko Sie…?«
»Ja, wir telefonierten kurz.«
»Jetzt warte ich auf ihn.«
Sir James räusperte sich. »Ist er nicht da?« erkundigte er sich dann leicht erstaunt.
»Richtig.«
»Er wollte fahren, John. Noch brennt nichts an. Der Weekend-Verkehr hat schlimme Ausmaße angenommen. Es kann sein, daß er darin steckengeblieben ist. Ich an Ihrer Stelle würde mir keine allzu großen Sorgen machen.«
»Mache ich mir auch nicht, Sir. Ich wollte mich eben nur noch einmal vergewissern.«
»Das ist gut, viel Glück.«
Ich legte den Hörer wieder zurück und schaute dabei durch das Fenster. Es war für mich nichts zu hören, aber zu sehen. Einige Nonnen
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