Die Masken der Liebe
ließ das Gewitter nach und lief aus in einem harmlosen Tröpfelregen.
Elisabeth saß nun weinend auf der Bettkante und kam vor lauter Schluchzen nicht dazu, ihre Garderobe entweder zu ergänzen oder sich wieder ganz auszuziehen. Ihr halb bekleideter, üppiger fraulicher Körper stand in krassem Gegensatz zu ihrer weinerlichen Hilflosigkeit, und dieses Bild verleitete Heinz dazu, seinen Ärger einem liebevollen Mitgefühl weichen zu lassen.
»Vielleicht ist deine Schwester längst in guten Händen und deine ganze Sorge unbegründet«, meinte er optimistisch und legte zärtlich seinen Arm um Elisabeths mollige Schultern. »Vielleicht ist sie sogar gerade dabei, ihre Unschuld zu verlieren, wer weiß …«
»Gitti? Mit diesem Kerl?« Elisabeth lehnte ihr tränennasses Gesicht an seine Brust. »Nie … nie … meine Schwester tut das nicht!«
»Man kann einem Menschen nicht ins Herz sehen, Eli. Auch du kennst deine Schwester nicht.«
»Brigitte weiß, daß wir auf sie warten. Sie weiß, daß ich mir Sorgen um sie mache. Ich kenne Gitti nicht anders als einen gewissenhaften, pünktlichen und ehrlichen Menschen. Sie würde nie so lange wegbleiben, ohne es vorher anzukündigen. Das sind wir von unserer Gitti nicht gewöhnt … nein, nein, da ist etwas passiert … ihr ist etwas zugestoßen … eine andere Möglichkeit kann ich leider nicht mehr sehen.«
»Im allgemeinen sagt man vorher nicht Bescheid, wenn man sich verliebt«, meinte Heinz Konradi. »Nicht umsonst singt man: Wie ein Wunder kam die Liebe über Nacht …«
Elisabeth fuhr hoch. Ihre Augen funkelten, der schöne Mund verzerrte sich.
»Daß du in dieser Situation so daherreden kannst, ist scheußlich … roh … herzlos von dir!« rief sie. »Du hast kein Gefühl, du bist ein Barbar! Aber natürlich, es ist ja auch nur meine Schwester, um die es geht. Vielleicht willst du damit sogar nur meine Eltern treffen.« Und plötzlich schrie sie auf: »Du, du, wenn du mir nicht Gitti wiederfindest, tue ich mir etwas an!«
Heinz Konradi zuckte zusammen. Plötzlich war ihm klar, daß er zu weit gegangen war, daß hier nicht ein Stück auf der Bühne gespielt wurde, sondern rauhe Wirklichkeit ablief, bei der seine ganze Ehe in Gefahr war. Erst jetzt wollte er nicht mehr länger leugnen, daß seine Frau tatsächlich dem seelischen Zusammenbruch nahe war und nur noch als flatterndes Nervenbündel schluchzend hin und her rannte.
»Gut«, sagte er fest, und der Ton seiner Stimme ließ Elisabeth erstaunt aufblicken. »Ich gehe und suche sie und hoffe sie zu finden.«
»Du mußt sie finden!«
»Aber wenn ich Pech habe? Was dann? Damit müssen wir rechnen.«
»Dann weiß ich keinen Rat mehr. Dann werde ich verrückt.«
»Es bleibt noch die Polizei. Aber Vermißtenanzeigen können frühestens in zwölf Stunden nach dem Verschwinden einer Person aufgegeben werden.«
»In zwölf Stunden bin ich wahnsinnig. Und was dann geschieht, habe ich dir gesagt, Heinz. Du mußt sie finden!«
Konradi nickte. Er nahm seinen Spazierstock aus dem Ständer und schloß die Tür auf.
»Bis nach Marktstett hoffe ich nicht gehen zu müssen«, erklärte er. »Sanke sagte etwas von der Brücke. Vielleicht haben sie sich untergestellt und verabschieden sich jetzt stundenlang voneinander. Das ist eine Spezialität verliebter junger Leute.«
Damit trat er hinaus in die Nacht.
Ein wenig skeptisch, von Natur aus unlustig, mit zweifelnden Gedanken …
Er kam sich reichlich dumm und nachgiebig vor.
Die Luft war durch den Regen wundervoll abgekühlt. Erde, Laub und Blumen strömten ihren Duft aus. Von den Zweigen tropfte es mit leisem Klicken. Fern über den Bergen wetterleuchtete es noch. Das Gewitter war schon weit weg.
Es war nicht mehr ganz so dunkel. Vereinzelt lugten die Sterne durch die Wolkenschleier und leuchteten trübe wie kleingedrehte Petroleumlampen. Der Mond war freilich noch hinter einer dichten Wolkendecke verborgen. Die Ausläufer seines bleichen Lichtes färbten die Ränder wundersam geformter Wolkenballen.
Heinz Konradi stand auf der Straße, stützte sich auf seinen Stock und überlegte.
Die Suche nach einem jungen Mädchen und einem jungen Mann ist eigentlich ein Blödsinn, dachte er. Aber was tut man nicht alles, um seine Frau zu beruhigen. Es ist zwar richtig, daß es Wüstlinge, Heiratsschwindler, Mädchenhändler, Sittlichkeitsverbrecher und dergleichen Gesindel in Massen gibt, aber dazu gehört dieser Herbert Sanke nicht. Nein, bestimmt nicht. Einen solchen
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