Die Masken der Liebe
Eindruck machte er nicht, auch seine Unterhaltung, sein Benehmen und seine Schrift, die ich auf den Werbeprospekten gesehen habe, waren ungekünstelt und von einer freien Natürlichkeit. Schließlich habe ich nicht Psychologie als Nebenfach studiert, um mich so zu täuschen, dachte Heinz Konradi weiter.
Dieser Herbert Sanke war harmlos und von einer eindeutigen Ehrlichkeit, die Heinz Konradi mit Anerkennung betrachtete.
Doch das fiel im Moment nicht ins Gewicht. Das spielte alles keine Rolle, es hatte nichts zu sagen. Brigitte Borgfeldt war seit zweieinhalb Stunden verschwunden, das war entscheidend.
Verschwunden auf dem Weg zur Brücke.
Verschwunden trotz der eindeutigen Beteuerung, nur kurze Zeit wegzubleiben.
Laß mich zunächst einmal den Weg bis zur Brücke abgehen, dachte Heinz. In der Nähe der Brücke gibt es zwei Restaurants und zwei Hotels, da kann ich – falls sie noch nicht geschlossen haben – einmal diskret nachfragen, denn in solchen Situationen muß man mit allem rechnen, wenn es mir auch denkbar unangenehm ist, in die möglichen Geheimnisse eines jungen Herzens einzudringen.
Langsam schlenderte Heinz Konradi durch die Straßen, trottete ein Stück die Promenade Ebbenraths entlang und fand trotz der Nässe die neuen Bänke des Verkehrsvereins prompt besetzt vor, aber leider nicht besetzt von Gitti und Herbert Sanke. Der Anblick dieser ganz in ihre Liebe verstrickten Pärchen, die auch das Gewitter und den Regen irgendwo überstanden haben mußten, gab ihm jedoch den Mut, auch an das gleiche günstige Schicksal Brigittes zu glauben.
Denn wozu die anderen imstande gewesen waren, das dürfte doch auch Herr Sanke fertiggebracht haben.
Womit Heinz Konradi begann, seine Suche nach Brigitte Borgfeldt doch auf der Logik des Mannes und nicht auf dem Gefühl der Frau aufzubauen.
Aber es war das erstemal, daß Konradi von seiner Logik enttäuscht wurde, denn nach kurzer Zeit stand er vor der Brücke und mußte sich eingestehen, auf den Bänken und in den so beliebten Haustüren oder Toreinfahrten seine Schwägerin nicht entdeckt zu haben.
Verstimmt lehnte er sich an das Geländer und blickte mißmutig um sich.
Was nun, dachte er. In die Hotels gehen und fragen? Es fiel ihm ein, daß das einer ziemlichen Kompromittierung Brigitte Borgfeldts gleichgekommen wäre.
Und wenn er ihren Namen nicht nannte?
Blödsinn! Er selbst war ja hier jedem bekannt. Damit wäre also auch nichts zu gewinnen gewesen.
Der Gedanke, in den Hotels nachzufragen, wurde also verworfen.
Nach Marktstett zu gehen kam nach wie vor auch nicht in Frage.
Aber vielleicht standen die beiden jenseits der Brücke und kamen nicht voneinander los. Das war immerhin möglich, und der Weg über die Brücke war nicht weit.
Letzteres gab den Ausschlag.
Heinz Konradi schlenderte über die Brücke, blickte hinunter auf das rauschende Flüßchen und ging dann weiter. Er pfiff leise vor sich und schlug mit dem Stock ab und zu gegen das Geländer.
Schließlich war man selbst auch einmal jung und war dankbar gewesen, wenn das Kommen eines Dritten schon von weitem angekündigt wurde. Ein Mann mit Praxis hat in solchen Dingen ein weites Herz.
Aber Konradis Zartgefühl war Verschwendung. Auch jenseits der Brücke standen keine Brigitte Borgfeldt und kein Herbert Sanke. Lediglich die Chaussee nach Marktstett schwang sich in weitem Bogen den Berg hinauf.
Umkehren war unmöglich. Elisabeth würde niemals verstehen, daß er die Suche nach seiner verschwundenen Schwägerin so schnell beendet haben würde. Hinzu kam, daß sich in Heinz jetzt selbst Bedenken regten und ihn das Verschwinden Brigittes mit Sorge erfüllte. Immerhin war es nicht zu leugnen, daß der einzige in Betracht kommende Weg leer war und es – hier gab Heinz seiner Frau recht – nicht Brigittes Art war, von einem festen Vorsatz abzuweichen.
Man muß die Liebe mit einkalkulieren, sagte sich Konradi. Große Ereignisse werden von ungewöhnlichen Umstellungen begleitet. Und doch, ein wenig merkwürdig war die ganze Situation schon. Sie gab ohne weiteres Anlaß, daß man in Sorge geriet.
Wo konnte Brigitte Borgfeldt sein?
In einem Hotel? Vielleicht. Aber Elisabeth behauptete ja: »Meine Schwester tut das nicht!« Wenn man das zu glauben bereit war, dann kam aber ein Absuchen der Hotels erst als allerletztes in Frage.
Vielleicht ist sie ein Stück der Chaussee nach Marktstett mitgegangen. Ganz bis Marktstett war ausgeschlossen. Aber ein Stück, das konnte sein.
Konradi rechnete
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