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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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auf das rechte Rheinufer übersetzen sollte, teilten sie sich den Tisch mit einem Frankfurter Kaufmann namens Peter Anton Brentano und seinem vierzehnjährigen Sohn Clemens. Tarin machte sich einen Spaß daraus, dem Jungen die gruselige Geschichte von der Lore Ley zu erzählen, einer Zauberin, deren Schönheit allen Männern den Verstand raube und sie in den Tod reiße. Wenig später bestiegen Arian und seine beiden Gefährten unweit der Stiftskirche mit ihren Pferden die »Fliegende Brücke«. So nannte man hier die Fähre, die mit einer Kette im Rhein verankert war und ihn allein mit der Kraft der Strömung überquerte. Ein kleines Mädchen weinte, weil über dem Fluss die Abendschatten aufzogen und sie sich vor den murmelnden Zwergen des Lurleberchs fürchtete.
    Tarin beugte sich zu ihr herab. »Hast du schon von der bösen Zauberin gehört, die auf dem Felsen …? Au! «
    Mira hatte ihm in den Rücken geboxt und zischte auf Französisch: »Warum musst du alle Kinder in Angst und Schrecken versetzen? Hast du das von deiner Mutter gelernt?«
    »Tu ich doch gar nicht«, verteidigte er sich auf Deutsch, um bei den anderen Fährgästen keinen unnötigen Verdacht zu erregen. »Ich schmücke die Wahrheit vielleicht etwas aus, aber im Kern ist die Geschichte wahr.«
    Die Kleine hatte das gehört und plärrte nun noch lauter. Tarin erntete wütende Blicke von ihren Eltern und der Brückenmeister nahm sich schließlich des Mädchens an. Er war ein Mann von sonnigem Gemüt. Während er mit seinen vier Fährknechten den Kahn im richtigen Winkel zur Strömung stellte, scherzte er unentwegt mit dem Kind. Bald hallte das Lachen aller Reisenden durch das Flusstal.
    Nachdem sie die Mitte des Stroms überquert hatten, ertönte aus der Ferne ein Glockensignal.
    Arian sah Tarin fragend an. »Sollen wir wieder beten?«
    Der Gefragte zog den Mundwinkel schief. »Schaden könnte es nicht, bei dem, was uns heute Nacht bevorsteht. Aber das Signal gilt nicht uns, sondern dem Brückenmeister. Auf der Burg Katz sitzt der ›Wahrschauer‹, ein Posten, der die Fähre vor entgegenkommenden Schiffen warnt. Sie müsste normalerweise ans linke Ufer zurückkehren.«
    »O nein! So dicht vor dem Ziel?«
    »Keine Sorge, liebe Leute«, rief der Fährmann. »Es wäre gefährlicher, die Fahrrinne nochmals zu queren, als weiterzugieren.«
    Arian atmete erleichtert auf. Es war seltsam. Vielleicht würde er den nächsten Morgen nicht erleben und trotzdem hätte er eine weitere Verzögerung kaum ertragen können. In den vergangenen zwei Wochen hatte er viele schlaflose Stunden damit zugebracht, sich die Begegnung mit Ikela auszumalen. Hoffentlich erwartete ihn ein Wiedersehen mit seinem gestohlenen Körper. Dann ließe sich ein Kampf wohl nicht vermeiden. Ob er von ihr auch die Wahrheit über jene Ereignisse erfahren würde, die seine Mutter das Leben gekostet und seinen Vater fast um den Verstand gebracht hatten?
    Er blickte verstohlen zu Mira. Bestimmt empfand sie ganz ähnlich wie er. Gedankenverloren tätschelte sie ihrer schwarzen Stute den Hals, die Augen furchtlos auf den Lurleberch gerichtet. Ihre roten Haare flatterten im Wind wie lodernde Flammen. Er seufzte.
    »Schau lieber woanders hin«, sagte hinter ihm eine düstere Stimme.
    Arian wandte sich zu Tarin um. »Ich dachte eben gar nicht an deine Mutter.«
    »Ist mir schon klar. Man sieht es dir an. Mademoiselle du Lys hat dir den Kopf verdreht.«
    Er schnaubte. »Bist du eifersüchtig? Weil sie nicht dahinschmachtet, wenn du deinen Charme spielen lässt?«
    »Unsinn. Ich will nur, dass du dich in den nächsten Stunden an unseren Plan hältst und alles andere vergisst.«
    »Dann ist sie dir also gleichgültig?«
    Tarin funkelte Arian wütend an. »Das habe ich nicht gesagt.«
    Mira drehte sich zu ihnen um und musterte sie streng. »Sprecht ihr über mich?«
    Sie grinsten wie zwei Honigkuchenpferde. Arian mochte sich lieber nicht vorstellen, wie dämlich sie dabei aussahen.
    »Festhalten!«, hallte in diesem Augenblick der Ruf des Brückenmeisters über das Deck und rettete damit die beiden Bewunderer der Comtesse du Lys vor weiteren peinlichen Fragen.
    Die Fähre legte in Sankt Goarshausen an.
    Kaum waren die drei von Bord gegangen, saßen sie wieder in den Sätteln. Mira strafte Tarin weiterhin mit Nichtachtung, weil er dem kleinen Mädchen mit seinen Schauergeschichten Angst eingejagt hatte. Irgendetwas war mit ihr auf der Reise geschehen. In London hatte Arian sie noch für gefühllos

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