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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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denn Morpheus ein Hellseher? Er konnte doch unmöglich ihren Plan vorausgeahnt haben. Oder gab es einen Verräter …?
    Jäh schnellte Sumrus Arm vor. Er war flink wie eine Kobra, geschmeidig wie ein Wiesel und stark wie ein Tiger. Jedem anderen hätte er wohl den Bauch aufgeschlitzt, aber Tarin war kein gewöhnlicher Kämpfer. Diesmal hatte er mit dem Angriff gerechnet. Gleich einem Schilfrohr im Wind bog er sich und drehte sich um die Klinge des Widersachers herum. Dabei schwebte sein linkes Bein über den Abgrund hinweg, während er wie ein Tänzer auf dem rechten herumwirbelte.
    Dann traf seine Ferse das Ohr des Orientalen. Sumru schrie zornig auf. Er hatte – überzeugt davon, den Gegner zu treffen – seinen sicheren Stand zugunsten eines kraftvollen Hiebs vernachlässigt. Der Fußtritt brachte ihn vollends aus dem Gleichgewicht und er kippte über den Rand der Plattform.
    Nur einen Augenblick später krachte er aufs Dach, durchschlug die Ziegel und stürzte in den Kirchenchor.
    Tarin sah zu dem Techniker hinüber, der sich mit angstgeweitetem Blick immer noch an dem Mast festklammerte. »Geht es Ihnen gut?«
    Chappe schüttelte so schnell den Kopf, als würde er zittern. »Nein. Es ist wohl besser, wenn Sie gehen, Monsieur.«
    »Ja. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.«
    Der Erfinder schnaubte. »Damit komme ich schon zurecht. Um Sie mache ich mir Sorgen, Monsieur Tarin. Haben Sie nicht zugehört, was der Inder sagte? Sein Herr wollte diese Station vor Rebellen sichern. Also rechnete er mit Schwierigkeiten. Sind Sie sich ganz sicher, dass er und nicht ihre Gefährten tot sind?«
    Tarin bekam eine Gänsehaut. »Sie haben recht. Das riecht verdammt nach einer Falle. Ich muss sofort nach Paris zurück.«

    »Boutonnières, Mesdames et Messieurs«, rief das Blumenmädchen mit den feuerroten Haaren. »Kaufen Sie schöne Nelken für nur zwei Sous.«
    Das Geschäft ging schlecht auf dem Boulevard Saint-Martin so früh am Vormittag. Aber das war Mira auch egal. Wenn ihr einige ältere Herren eine Boutonnière abkauften, eine Blume für das Knopfloch am Revers, dann wohl, weil sie gerne mit einem hübschen Mädchen plaudern wollten, nicht wegen der Symbolkraft der Farben. Besonders beliebt war die rote Nelke. Sie galt als Zeichen der Unerschrockenheit, mit dem sich sogar die Verurteilten auf dem Blutgerüst schmückten, um ihre Tapferkeit im Angesicht des nahen Todes zu zeigen.
    Mira machte zum wiederholten Mal kehrt. Kokett mit ihrem Weidenkorb schlenkernd schlenderte sie in die Gegenrichtung, vorbei an dem Theater, das die Pariser Oper beherbergte, bis zur Porte Saint-Martin. Tarin war schon vor einiger Zeit losgelaufen. Das bedeutete, Morpheus war im Tempel.
    Hoffentlich passte Arian auf sich auf. Sie mochte ihn, trotz seines furchterregenden Äußeren. »Ihr zwei seid wie die Schöne und das Biest«, hatte Ikela sie auf der Reise geneckt, eine Anspielung auf das Märchen La belle et la bête. Es handelte von Belle, der Schönen, die das abscheuliche Biest, einen verwunschenen Prinzen, mit Tränen der Liebe vor dem Tode rettete und ihn von dem Bann befreit. Mira wünschte, sie könnte auch Arian seine wahre Gestalt zurückgeben. Immerhin verdankte sie ihm ihr Leben. Einen Freund wie ihn hatte sie noch nie gehabt.
    Nein, es war mehr als nur Freundschaft. Sie sehnte sich nach Arian, genoss jeden Augenblick, den sie mit ihm teilen durfte, fühlte sich bei ihm geborgen, wollte ihm alles, selbst die kleinsten Nichtigkeiten erzählen, und sie litt, wenn er nicht bei ihr war. Sie hatte sich ihren seelischen Ausnahmezustand lange nicht eingestehen wollen, weil es ja hieß, die Liebe mache blind, und bei dem, was sie vorhatte, brauchte sie scharfe Sinne und einen wachen Verstand …
    Ihre Gedanken gerieten jäh ins Stocken, als sie plötzlich einen beleibten Mann vor dem Theater entdeckte. Er kam auf sie zu, blickte aber über seine Schulter zurück. Der Dicke war ganz in Schwarz gekleidet und trug einen Dreispitz. Sie hätte schwören können, ihn zu kennen. Es war keiner aus dem Gefolge der Herrin von Phobetor …
    Sie riss die Augen auf. Gerade hatte der Mann sich umgedreht. Mira drückte sich in den Torbogen, um nicht gesehen zu werden, und spähte weiter in den Boulevard. Tatsächlich. Es war Jacques Rochelais. Nein, es war nur der Körper des Fischers, der dem Faktotum des Herrn von Ivoria als stoffliche Hülle diente.
    Mira zog sich zurück, weil der neunzehnte Diener des Metasomenfürsten mit langen Schritten

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