Die Masken des Morpheus
gekleidet. Der Hut warf einen Schatten auf sein Gesicht. Arian spähte von Miras Zimmer zu der finsteren Gestalt hinunter.
»Er rührt sich nicht von der Stelle. Ich glaube, die Schwarzen Wölfe haben uns gefunden.«
Mira sah von ihrem Reisesack zu ihm herüber. »Wie ist das möglich? Wir waren unterwegs immer so vorsichtig.«
»Was weiß ich! Vielleicht hat Morpheus wieder Bluthunde auf unsere Fährte gesetzt. Oder seine Schergen patrouillieren entlang der Küste. Dass wir seinem Einflussbereich zu entkommen versuchen, wird er sich denken. Er muss kein Hellseher sein, um uns hier zu erwarten. Bei Calais ist die Straße von Dover am leichtesten zu überqueren.«
»Es ist bald Mitternacht. Wenn wir noch lange warten, können wir unseren Plan vergessen.«
Als Arian erneut zu dem Mann hinabspähte, beschlich ihn das Gefühl, aus den Schatten unter der Hutkrempe angestarrt zu werden. Rasch zog er sich ins Zimmer zurück. Mira zurrte gerade das Verschlussband ihres Mantelsacks fest.
»Du hast recht«, sagte er. »Lass uns verschwinden. Der Gasthof hat viele Ein- und Ausgänge. Ich erkundige mich mal, ob wir nicht irgendwo unauffällig hinausschlüpfen können.«
Wie sich herausstellte, gab es tatsächlich einen Hinterausgang, der normalerweise nur von Lieferanten, Knechten und Mägden benutzt wurde. Arian bezahlte den Portier, damit er ihm das Tor aufschloss. Zuvor verwandelte er ein Mauerstück so groß wie ein Guckloch in Luft, nicht buchstäblich, doch die Illusion genügte, um in die Gasse dahinter zu blicken.
»Und?«, flüsterte Mira.
»Keiner da«, antwortete er.
»Dann nichts wie los.«
»Vergiss nicht, was wir besprochen haben. Lass deine Stute im Schritt gehen – wir müssen leise sein. Sobald wir die Rue de Valenciennes erreicht haben, reiten wir so schnell wie der Wind nach Süden. Alles klar?«
Sie nickte.
Arian nickte dem Portier zu, der hierauf das Tor öffnete und die beiden Rappen herausließ.
Auf dem sandigen Boden der Gasse waren die Hufe der Tiere kaum zu hören. Das änderte sich in der gepflasterten Straße, die zum südlichen Ortsausgang führte. Sie trieben ihre Rösser zur Eile an. Als Arian sich umdrehte, war er Mira um eine Pferdelänge voraus. Ein Stück weiter hinten sah er die Schatten zweier Reiter. Gerade kam aus einer Seitengasse ein dritter hinzu.
»Die Wölfe haben uns entdeckt«, rief er über die Schulter.
Mira schloss zu ihm auf. »Und was jetzt?«
»Ich lass mir was einfallen. Bleib dicht bei mir.«
Während sie die Rue de Valenciennes entlangpreschten, holten die Verfolger allmählich auf. Arian suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ob die Schergen des Fürsten auch den Ortsausgang bewachten? Er rechnete mit dem Schlimmsten.
Die Straße gabelte sich und die Wölfe gerieten kurz außer Sicht. Rechts sah er in einer hohen Mauer eine offene Einfahrt. Eine bessere Gelegenheit würden sie vielleicht nicht mehr bekommen.
»Da hinein!«, rief er und lenkte seinen Hengst zum Tor. Sobald er auf dem Grundstück war, sprang er aus dem Sattel. Mira galoppierte an ihm vorbei und zügelte ihr Pferd. Er ballte die Fäuste und konzentrierte sich.
Wie aus dem Nichts schloss sich die Einfahrt. Aus Luft, so schien es, entstanden Steine. Als die Schwarzen Wölfe die Straßenbiegung erreichten, sah die Grundstücksmauer wie ein einheitliches Ganzes aus, Wirklichkeit und Gaukelei waren nicht voneinander zu unterscheiden. Nur ein kleines Loch zum Hinausspähen ließ Arian frei. Er zählte nun bereits vier Verfolger.
Mit hellem Hufschlag preschten sie vorüber.
»Sie werden unsere Finte bald bemerken«, raunte er.
Schon aus der Ferne konnten Arian und Mira die Montgolfière sehen. Sie leuchtete wie eine riesige Laterne.
»Sie ist noch da«, sagte Mira. Der Seewind zerzauste ihr Haar. Sie und Arian ritten nebeneinander über den Sandstrand. Die Verfolger hatten sie einstweilen abgehängt. Der Mond hing groß und beinahe kugelrund über dem Meer. Mittlerweile war es nach Mitternacht.
»Und sie halten das Feuer in Gang. Sieht so aus, als dächten die Brüder ernsthaft über unseren Vorschlag nach. Ich komme mir wie ein gemeiner Dieb vor.«
»Haben wir denn eine Wahl? Die Wölfe suchen bestimmt längst die ganze Gegend nach uns ab. Außerdem, sieh es mal so: Offiziell bauen die Montgolfiers seit 1784 keine aerostatischen Maschinen mehr. Also existiert das Ding überhaupt nicht. Und was es nicht gibt, kann man nicht stehlen.«
»Jetzt mal im Ernst, Mira. Wahrscheinlich haben sie
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