Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Luftfahrtgeschichte geschrieben. Vor den erlauchten Augen König Ludwigs XVI. war die Montgolfière von Versailles aus gen Himmel gestiegen, mit einem Hammel, einer Ente und einem Hahn.
    Kurz hinter der Stadtgrenze bemerkten die beiden Reiter vor sich dunkle Wolken am Strand. »Das könnte es sein!«, rief Arian seiner Verlobten zu. Der Auftrieb für die Freiballone, so glaubte man, käme nämlich von heißem Rauch. Daher verbrannte man unter den Luftkugeln ölgetränktes Holz, Papier, feuchtes Stroh und Stoff – alles, was ordentlich qualmte.
    Nach einem halbstündigen Ritt, etwa eine Meile nordöstlich des Örtchens Sangatte, sahen sie dann den riesigen Sack. Vier Seile hielten ihn an hölzernen Pfosten fest. Er war unten röhrenförmig und wölbte sich nach oben hin aus; somit glich er weniger einer Kugel, sondern eher einem Kopf mit Hals oder einer Birne. Um die Rauchöffnung lief eine Galerie herum, die für die Flugpassagiere vorgesehen und über ein Holzgerüst zugänglich war. Zwischen den Haltebäumen stand ein Ofen aus Schamottsteinen, der den Freiballon befeuerte.
    »Da!«, rief Arian und deutete zur Montgolfière.
    »Lass mich mit ihnen reden«, antwortete Mira.
    Sie trieben ihre Pferde zum Galopp an.
    Arians Herz pochte vor Aufregung. Als Achtjähriger hatte er bei einem Besuch in London zum ersten Mal einen dieser mit heißem Rauch gefüllten Ballons gesehen. Der Italiener Vincenzo Lunardi war von Moorfields aus – unweit des Bethlem Hospitals – in die Luft gestiegen. Das schwebende Ungetüm hier war weitaus beeindruckender. Es strahlte in Blau, Weiß und Rot – den Farben der Revolution. Außerdem zierten es große gelbe Sonnen mit Gesichtern und aufgemalte Bordüren. Um die Hülle der Birne in Form zu halten, hatte man sie in ein Netz eingepackt. Dieses war wiederum mit den Halteseilen verbunden.
    Mehrere Männer fachten gerade das Feuer an. Bis auf zwei trugen alle Pantalons, die knöchellangen Hosen der Seeleute und Tagelöhner. Arian lenkte seinen Rappen zu den beiden Herren, die Culotten und Perücken trugen. Ehe das Pferd ganz zum Stehen gekommen war, schwang er sich mit artistischer Eleganz aus dem Sattel und verbeugte sich.
    »Messieurs Montgolfier?«
    Der ältere – er war etwa Anfang vierzig – nickte. Zwar konnte er sich zu keinem Lächeln durchringen, doch seine Augen verrieten Neugierde. Vor allem, weil nun Mira seine Aufmerksamkeit erregte. Sie spielte die Unbeholfene, während sie vom Ross zu steigen versuchte. Sofort waren die Gebrüder zur Stelle und halfen ihr, festen Boden unter die Füße zu bekommen. Nur Arian fiel auf, wie fest sie die Hände der beiden hielt, um sie dann jäh wieder loszulassen.
    »Heute früh dachte ich, was für ein strahlender Morgen, Jacques«, schwärmte der jüngere – er mochte Ende dreißig sein –, »doch nun muss die Sonne vor Ihnen erblassen, Madame.«
    Mira kicherte. »Mademoiselle. Monsieur Montgolfier, nehme ich an?«
    »Zu Ihren Diensten, Mademoiselle …?«
    »Mira du Lys.« Sie deutete auf Arian. »Und das ist Mike Astley, mein Verlobter.«
    Jacques Étienne Montgolfier wedelte mit der Hand in Richtung des älteren. »Mein Bruder Joseph Michel, wie Sie sich denken können. Sagen Sie, sind Sie etwa mit der Jungfrau von Orléans verwandt?«
    »Entfernt.«
    »Frappant! Der Tag ist voller Überraschungen.«
    »Astley?«, grübelte Joseph. »So wie Philip Astley vom Amphithéâtre Anglais?«
    Arian nickte. »Mein Adoptivvater.«
    »Ich bin ein großer Bewunderer seiner Reitkunst.«
    »Danke, Monsieur. Leider mussten wir Paris verlassen.«
    »Wir hoffen alle, dass es bald wieder Frieden gibt. In diesen Zeiten enthalten sich unsere Völker so viel Gutes vor.«
    Jacques machte eine Geste in Richtung Meer. »Wie kommt es, dass sich ein Engländer ohne Kanonen und Flinten nach Frankreich hineinwagt? Sind Sie ein Spion?«
    Mira lachte. »Mein Verlobter? Ein Spitzel? Wo denken Sie hin! Er ist Seiltänzer und Puppenspieler.« Sie deutete auf die Montgolfière. »Er könnte fünftausend Fuß über dem Kanal dahinfliegen und ihm würde trotzdem nicht schwindelig.«
    »Solche Männer braucht die Wissenschaft.«
    »Dann greifen Sie zu, Messieurs.«
    Die Brüder wechselten einen verwirrten Blick.
    »Wie darf ich das verstehen, Mademoiselle?«, fragte Joseph.
    Ihre eben noch fröhliche Miene verdunkelte sich mitleiderregend. Sie förderte ein Schnupftuch zutage, betupfte damit ihre tränenfeuchten Augenwinkel und schluchzte. Arian trat zu ihr und legte

Weitere Kostenlose Bücher