Die Masken des Morpheus
dunkel?
Weil ich Slits fetten Wanst nicht auf der Straße liegen lassen will.
Dann bin ich also nicht tot?, hakte er nach.
Vor ihm erschien ein Licht. War das eine Tür? Er bewegte sich darauf zu. Ein seltsames Gefühl. Es kam ihm so vor, als trüge ihn jemand zu diesem schimmernden Rechteck.
»Du bist jetzt mit mir im selben Körper.« Diesmal hörte er tatsächlich die Antwort. Mit Hooters Ohren, um genau zu sein, und es war auch dessen Stimme, die zu ihm sprach.
Er versuchte, ebenfalls etwas zu sagen, brachte aber nur ein unverständliches Gebrabbel zustande. Ebenso wenig wollten ihm die Gliedmaßen gehorchen. Die Beine unter ihm zuckten wie bei einer schlecht gespielten Marionette.
Hör sofort auf damit! Du bist hier nur Untermieter, verstanden?, schalt ihn die andere Gedankenstimme.
Mira? Er überließ ihr den Körper.
Wer sonst? Sie trat auf die Straße hinaus und wandte sich nach rechts.
Ich … Er druckste. Ich hatte befürchtet, du könntest Ikela sein.
Sie lachte laut. »Dann wärst du längst mit mir verschmolzen.«
Arian betrachtete eine Weile schweigend die im Laternenlicht an ihnen vorüberziehenden Häuser. Sein Misstrauen gegenüber der Seelendiebin war zwar nicht restlos zerstreut, doch immerhin lebte er noch. Offenbar hatte er sie falsch eingeschätzt. Danke, dass du mich gerettet hast, dachte er kleinlaut .
»Es ist nur eine Rettung auf Zeit«, antwortete sie leise. Wer Hooters Gestalt beobachtete, musste denken, er führe Selbstgespräche. »Zwei Körpertauscher in einem Leib – das ist so, als zwängten sich zwei Menschen in einen Mantel. Früher oder später platzt er aus den Nähten.«
Arian schauderte. Wie lange?
»So etwas geht nie länger als ein paar Stunden gut. Wir müssen dir so schnell wie möglich einen eigenen Körper besorgen.«
Und was geschieht dann mit dessen … natürlichem Besitzer?
»Das weißt du doch: Er wird im Augenblick eurer Verschmelzung ausgelöscht.«
Könnte der andere mich nicht so wie du vorübergehend bei sich aufnehmen?
»Nur, wenn er auch ein Swapper wäre. Finde dich damit ab, Arian. Du fährst in den Nächsten, den ich berühre, und sein Geist wird in deinem aufgehen.«
Das kann ich nicht zulassen. Ich klammere mich einfach an dir fest.
»Falls du das tust«, antwortete Mira ruhig, »sterben wir beide.« Wo sind wir hier?, fragte Arian. Sie waren in einer unbeleuchteten Gasse vor dem Seiteneingang eines Backsteingebäudes stehen geblieben. Ein knapp einstündiger Fußmarsch lag hinter ihnen.
»Am Haus der verlorenen Geister«, flüsterte sie, während sie im Dunkel nach verdächtigen Geräuschen oder Bewegungen forschte.
Ihn schauderte. Was … für Geister?
»Du hast doch gehört, was ich Hammer gesagt habe?«
Ja, dass wir einer Spur ins Tollhaus folgen. So ein Unsinn!
»Es ist wahr. Dort wartet Zed auf mich. In meinem Körper.«
Etwa im… »Bedlam?« Der Gedanke war so überwältigend abstoßend für ihn, dass er für einen Augenblick die Kontrolle über Hooters Zunge erlangte und das grauenhafte Wort aussprach.
»Lass das! Wenn hier einer redet, dann bin ich das«, zischte Mira.
Ich dachte nicht, dass du ernsthaft…
»Es ist mir sogar sehr ernst«, unterbrach sie ihn. »Niemand geht freiwillig an diesen Ort, abgesehen von den Irrenschließern, die auf die Verrückten aufpassen. Und von mir.«
Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen sah Arian in den geistig verwirrten Insassen solcher Häuser menschliche Wesen und nicht vernunftlose Kreaturen. Ihn beunruhigten die Schauergeschichten, die man sich vom Bethlem Hospital erzählte. Die Leute auf der Straße nannten es Bedlam, ein Name, der längst in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen war. Auch Arian benutzte ihn wie selbstverständlich, um ein chaotisches Durcheinander zu beschreiben.
Hast du überhaupt eine Ahnung, was für ein Haus das ist?, fragte er Mira und berichtete ihr, was er darüber von seinem Ziehvater gehört und in der Zeitung gelesen hatte. Früher habe man an den arbeitsfreien heiligen Tagen zuerst die königliche Menagerie im Tower of London besucht, um exotische Tiere zu bestaunen, und danach sei man vor die Stadtmauer nach Moorfields gefahren und habe im Bedlam für ein kleines Entgelt herumtollende Menschen besichtigt. Da sind Männlein und Weiblein halb nackt zusammengesperrt. Sie kriegen kaum zu essen und zu trinken und die Unbändigen werden angekettet. Es heißt, die Zuchtmeister würden sie quälen, um ihnen die Tollheit auszutreiben.
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