Die Masken des Morpheus
für einen Körper waren. Sie verzehrten seine Lebenskraft.
Erstaunlich leise bewegte sie den schweren Leib des Walisers durch den Gang. Die große Anzahl von Türen zu beiden Seiten ließ vermuten, dass die meisten Insassen der Anstalt in Einzelzellen eingesperrt waren. Aus einigen hörte man Stimmen: weinerliches Klagen, irres Lachen oder Laute, die nicht einmal menschlich klangen. Hier also sind die weniger ernsten Fälle untergebracht, dachte Arian. Ihn schauderte bei dem Gedanken an das, was ihn erwartete.
Die Tür zur Wachstube stand offen. Mira legte sich flach auf den Boden und spähte in den Raum dahinter. Arian sah die Füße eines Mannes, der Kniebundhosen trug. Sie ragten unter einem Tisch hervor. Ob er schlief, irgendetwas las oder gar in den Gang blickte, ließ sich nicht erkennen.
Kannst du wiederholen, was du vorhin mit deiner Stimme gemacht hast? , fragte Mira.
Du meinst das Telebauchreden? Ich weiß nicht. Neben dir fühle ich mich so … eingeengt.
Sie gab ein innerliches Stöhnen von sich. Du bist empfindlicher als eine Primel. Wenn’s dir hilft, ziehe ich mich zurück. Aber nur kurz, damit du dich frei entfalten kannst. Sobald der Schließer abgelenkt ist, überlässt du mir wieder das Regiment, d’accord?
Na, dann rück mal zur Seite.
Er merkte, wie Miras Bewusstsein zu schrumpfen schien, bis er es kaum mehr spürte. Dadurch erst wurde ihm bewusst, wie ausgebrannt ihr gemeinsamer Körper inzwischen war. Allein sich zu konzentrieren, fiel ihm schwer, seine Stimme nach draußen zu versetzen, kostete ihn erschreckend viel Willenskraft.
Aus der Gartenanlage hinter dem Hospital ertönte ein irres Lachen.
Der Wärter fuhr aus dem Stuhl hoch, wandte sich dem Fenster zu, öffnete es und rief: »Ist da wer?«
Um ihn noch eine Weile zu beschäftigen, erschuf Arian ein Irrlicht, das durch die Dunkelheit geisterte. Dann überließ er Mira wieder die Führung.
Hooters Körper richtete sich auf, huschte an der Tür vorbei und schlich auf Zehenspitzen weiter den Gang entlang. Man merkt, dass du aus einer Familie von Plagiatoren kommst , dachte das Mädchen.
War das als Lob gemeint? Einige Schritte später hörte er hinter sich ein Geräusch. Der Schließer kommt!, warnte er Mira.
Sie drückte sich rasch in eine Türnische.
Im nächsten Augenblick verließ der Wärter mit einem langen Knüppel und einer Laterne seine Stube und eilte in den Flügel der Heilbaren. Unterwegs klopfte er an eine Tür und raunte: »Steh auf, John! Ich fürchte, da ist wieder einer ausgebüxt.«
Wenige Sekunden später erschien ein zweiter Mann mit einem Schlagstock auf dem Flur. Gemeinsam liefen sie zu dem Seitenausgang.
Arian stöhnte innerlich. Auch das noch! Jetzt entdecken sie die offene Tür.
Ist doch gut so, beruhigte ihn Mira. Sie finden nur, was sie erwarten, und werden eine Weile im Garten nach einem entflohenen Irren suchen, den es gar nicht gibt. Wenn wir uns beeilen, sind wir draußen, ehe sie zurückkommen. Sie machte sich mit ihrem Diebeshaken an dem Schloss zu schaffen,
Er fühlte Panik in sich aufsteigen. Gleich würde sie von ihm etwas Undenkbares verlangen.
Leise klickend drehte sich der Diebesschlüssel herum.
Mira betrat einen Saal, in dem mindestens zwei Dutzend schlichte Holzpritschen standen. Besser, wir lassen die Tür offen. Hier sind zwar nur die harmloseren Irren untergebracht, aber man weiß ja nie. In der Ferne bellte ein Hund.
Hast du das gehört?, entfuhr es Arian.
Das war nur irgendein Köter. Jetzt mach dir nicht in die Hosen.
Wie denn? Die hast du ja an, spielte er seine Schreckhaftigkeit herunter. Wahrscheinlich hatte Mira recht. Für ihn hörte sich im Moment jeder Kläffer an wie Monster. Um seine überspannten Nerven abzulenken, konzentrierte er sich auf das, was ihm Hooters Sinne lieferten, so trostlos dies auch sein mochte.
Er konnte die Geisteskranken hören, riechen und sogar sehen, weil ja die Tür zum Gang offen stand. Zusätzliches Licht, wohl von einer Laterne an der Rückseite des Gebäudes, drang durch die unverglasten, vergitterten Fenster unter der Decke. Es war empfindlich kühl in dem Raum. Die Frauen schliefen zwischen zwei Decken auf einer Unterlage aus Stroh. Arian erinnerte sich an einen Zeitungsbericht, demzufolge Kälte beruhigend auf die Patienten wirken solle. Vergleichsweise still war es tatsächlich in dem Zimmer. Nur aus einer dunklen Ecke zur Rechten hörte er ein leises, kindliches Singen, das die anderen aber nicht zu stören schien.
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