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Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe

Titel: Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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den Waffen auf die Menschen, die nur langsam zum Stillstand kamen und wütend in die Gewehrläufe
starrten. John versuchte verzweifelt, nicht von der Menge verschluckt zu werden oder zwischen die Fronten zu geraten.
    »Halt, Leute!« Der Offizier hob den Arm. »Ruhe! Es sind weitere Lebensmittel unterwegs!«
    »Lüge!«, schrie irgendwer. »Wir warten hier schon seit Stunden!«
    Mann für Mann kletterten die Soldaten auf den Lastwagen, die Waffen weiter auf die Menge gerichtet. Als Letzter stieg der Offizier ein. »Mehr Essen ist auf dem Weg!«
    Sofort drückte der Fahrer aufs Gas. Schlamm spritzte auf, eine Abgaswolke hüllte die Menschenmasse ein. Manche fielen nach vorne, dorthin, wo eben noch der Wagen gestanden hatte.
    Der Zorn der Leute legte sich nicht. John sah, wie Rudy und Stan dem anfahrenden Lastwagen Verwünschungen hinterher brüllten. Mit knochigen Fäusten drohten sie den Soldaten, die ausdruckslos vom fahrenden Truck herunterblickten. Gleich darauf entdeckte Stan die junge Frau und das kleine Mädchen, die fast als Letzte etwas abbekommen hatten. Hand in Hand kämpften sich die beiden durch den Schnee, auf eine Brücke über den Ottawa River zu. Stan nahm die Verfolgung auf.
    John wusste, was er vorhatte, und rannte hinterher. Aber Stan war schneller.
    Ein Schuss – die Frau stürzte und riss das Mädchen mit sich, das über die Böschung schlitterte, auf den eisigen Fluss zu. Stan verstaute die Pistole wieder in der Manteltasche und griff sich die Tasche der Frau.
    Aus der Ferne mussten die Soldaten den Schuss gehört haben, doch der Lastwagen hielt nicht an.
    Als John sich neben der Verletzten in den Matsch fallen ließ, war Stan bereits einige Meter weiter. Blut sickerte durch die Wolljacke der Frau und färbte das Gewebe dunkel
ein. Leuchtend rote Rinnsale ergossen sich auf den schmutzigen Schnee.
    »Du hast sie erschossen!«, schrie John in Stans Richtung.
    Stan erwiderte seinen Blick, zuckte mit den Schultern und ging davon. Einige Leute versammelten sich um die blutende Frau, starrten neugierig auf sie hinab.
    »Ruf doch irgendjemand einen Krankenwagen!«, flehte John. »Man hat auf sie geschossen!«
    Eine alte Frau lachte. »Krankenwagen gibt’s nicht mehr. Weißt du das denn nicht?« Sie wandte sich ab und ging ebenfalls.
    »Mama!«
    Die dünne, schwache Stimme kam vom Fluss. John rutschte auf den Knien zur Böschung und schaute hinab: Das kleine Mädchen lag mitten auf dem Eis. Doch er konnte die Mutter nicht einfach verbluten lassen. »Du!«, rief er und zeigte auf einen Schaulustigen, der ungefähr in seinem Alter war. »Komm her. Du musst das Blut stoppen. Drück fest hier drauf, okay?«
    Zögerlich gehorchte der Junge und übte Druck auf den Bauch der Frau aus. Das Blut strömte über seine Hände.
    John ließ sich die Böschung hinabgleiten, setzte erst den einen, dann den anderen Fuß auf das Eis und arbeitete sich langsam, Schritt für Schritt, zu dem Mädchen vor. Das Eis hielt. Bei der Kleinen angekommen, sah er sofort, dass ihr Bein merkwürdig verdreht dalag. Er wusste, was das bedeutete: Es war gebrochen.
    Vorsichtig nahm John das Mädchen in die Arme, bemüht, das verletzte Bein möglichst wenig zu bewegen. Erst einmal musste er aus diesem Flussbett heraus. Er blickte sich suchend um: Ein steiler, steiniger Pfad neben der Brücke, der nicht allzu verschneit war, schien ihm noch der beste Weg nach oben zu sein. Mit zitternden Händen begann er zu klettern. Einmal rutschte er mit dem Fuß ab, und das Mädchen schrie vor Schmerz auf. Aber er schaffte es hinauf.

    Mittlerweile war die Menschenmenge verschwunden. Sogar der Junge, der die Blutung hatte stoppen sollen, war fort. Das Einzige, was er hinterlassen hatte, waren blutige Fußabdrücke.
    Behutsam legte John das Mädchen neben seine Mutter.
    »Mama?«, fragte es kläglich. »Mama?«
    Der Atem der Frau ging schwach, aber sie lebte. John dachte nach. Krankenwagen gab’s nicht mehr, hatte die Alte gesagt. Die Armee schaute weg, wenn vor ihren Augen auf jemanden geschossen wurde. Und das alles wegen eines bisschen Essens.
    John wusste, dass er der Frau in diesem Universum nicht helfen konnte. Und wenn sie starb, starb auch das Kind.
    »Hast du eine Familie?«, fragte er das Mädchen sanft. Sie sah ihn ausdruckslos an. »Einen Vater, einen Bruder oder eine Schwester?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nur Mama.«
    »Wie heißt du?«
    »Kylie. Kylie Saraft.«
    John versuchte, sich möglichst genau an den Katzenhund zu erinnern, der

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