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Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe

Titel: Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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so«, grunzte sein Vater.
    Prime hob das Fundament für den nächsten Pfosten aus.
    »Und, welchen Film schaut ihr euch an?«, wollte sein Vater wissen.
    »Ist das so wichtig?« Wieder schrie Prime sich in Gedanken an: Warum konnte er sich nicht zurückhalten? Johnny Farmer wäre nie so forsch aufgetreten.
    Aber sein Vater stutzte nur kurz, bevor er herzlich lachte. »Nein, falls ihr einen Logenplatz habt, schön weit oben.« Verdutzt zwang Prime sich zum Mitlachen, doch sein Vater war noch nicht fertig. »Verrat deiner Mutter bloß nicht, dass ich dir davon erzählt habe, aber wir zwei sind damals ständig ins Strand gegangen. Und ich glaube nicht, dass wir auch nur einen einzigen Film mitbekommen haben.«
    »Dad! Das habt ihr doch nicht wirklich gemacht!«
    »Wo hätten wir es denn sonst tun sollen?« Sein Vater grinste. »Hier hatten wir keine Chance, dein Großvater hätte mich windelweich geprügelt. Und bei ihr ging’s auch nicht – dein anderer Großvater hätte mich glatt erschossen.« Er blickte Prime in die Augen und nickte ernst. »Kannst von Glück sagen, dass du in freizügigeren Zeiten aufwächst.«
    Prime lachte, aber in seinem Lachen schwang Bitterkeit mit. Er erinnerte sich noch gut an das Universum, in dem der Hippie-Kultur der freien Liebe erst im Jahr 1980 Einhalt geboten worden war, nachdem ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung an AIDS gestorben war und sich neunzig Prozent des Rests Syphilis oder Tripper eingefangen hatten. Dort musste man vor jedem Date einen Bluttest absolvieren, und wenn es dann so weit war, wich einem die offizielle Begleitperson nicht von der Seite.
    Prime nickte seinem Vater zu. »Ich weiß, was für ein Glück ich habe.«

9
    Eiskalter Wind fuhr ihm in die Seite. Auf dem falschen Fuß gelandet, stolperte John in eine Schneeverwehung und blieb auf dem Hosenboden sitzen. Mit halberfrorenen Fingern schloss er hektisch den Reißverschluss seiner Jacke und barg die Hände in den Taschen.
    Schnee? Im Oktober?
    Mehr als ungewöhnlich für diese Gegend.
    John rappelte sich auf, stemmte sich gegen den Wind und versuchte sich zu orientieren. Er befand sich noch immer auf dem Gelände der Universität, aber dieser Campus hatte wenig Ähnlichkeit mit dem im letzten Universum: Die Bäume, die eben noch grün-gelbe Blätter getragen hatten, waren kahl und geschwärzt. Im Himmel über der McCormick Hall türmten sich dunkle Wolken auf. Das Glas in den Fenstern der umliegenden Gebäude war zerbrochen; manche hatte man zugenagelt, und vor den Türen hingen dicke Eisenketten. Und in der Luft lag ein giftiger Brandgeruch.
    Was war hier geschehen?
    Feiner Puderschnee rieselte auf John herab. Er vermutete, dass die Temperatur nahe am Gefrierpunkt lag, aber durch den Wind fühlte es sich deutlich kälter an. Nach nur zwei Minuten in diesem Universum war er völlig ausgekühlt. Und er hatte nicht mal eine Mütze dabei, um seinen Kopf vor der eisigen Luft und dem Schnee zu schützen. Es brachte nichts, sich mit eng verschränkten Armen vom Wind abzuwenden, mühelos drang er durch den dünnen Mantel und direkt in
die Glieder. Also ließ er sich treiben, auf die Mitte des Campus zu.
    Mit dem Wind im Rücken passierte John zwei große, leerstehende Gebäude. Vor sich sah er eine weitläufige, ebenso leergefegte Fläche. Auch hier waren die Bäume schwarz und brüchig, nicht wie die winterlichen Bäume in seiner Heimat, sondern abgestorben, verrottet, tot. Anscheinend hatten sie seit Jahren keine Blätter mehr getrieben.
    John überquerte den verlassenen Platz. Die Augen auf die kahlen, krummen Äste gerichtet, steuerte er unwillkürlich auf ein breites Gebäude zu – das Studentenwerk, wie er an dem geschnitzten Schild über der mit Brettern verstärkten Tür erkennen konnte. Daneben hing ein weiteres Schild mit groben, roten Buchstaben: »Aufgrund der aktuellen Krisensituation ist die University of Toledo bis auf Weiteres geschlossen.« Das Datum lag drei Jahre zurück. Und die Zeit hatte Spuren hinterlassen: Die Schrift war so verwittert, dass man sie stellenweise kaum entziffern konnte.
    Welche Krise konnte dazu führen, dass die Universität so lange geschlossen blieb? John ging um das Gebäude des Studentenwerks herum und stieß auf einen Fluss, der in nordöstlicher Richtung verlief. Das musste der Ottawa River sein, der am nördlichen Rand der Stadt in den Lake Erie mündete. Der Fluss war völlig zugefroren.
    Zwar war John immer noch kalt, aber nach und nach gewöhnte er sich an

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