Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
Sonne, grüne Wiesen, Nahrungsmittel im Überfluss. Was, wenn die Menschen gewusst hätten, dass praktisch nebenan die Rettung wartete? John wünschte, er hätte ein anderes Gerät, eines, das richtig funktionierte und einen größeren Wirkungsradius besaß, denn dann hätte er Tausende von Menschen in dieses gelobte Land bringen können.
Mit bitterem Lachen schüttelte er den Kopf. Was für absurde Träume! Außerdem: Besäße er ein Gerät, das richtig funktionierte, würde er erst einmal selbst nach Hause reisen.
John drückte die Schwingtür der McCormick Hall auf. Jetzt wusste er, wie er Wilson drankriegen konnte.
10
Auf den Fluren der McCormick Hall kannte John sich sofort aus: Hier hatte sich nichts verändert. Als er die Tür zur Physikbibliothek öffnete, saß sogar der gleiche Student wie beim letzten Mal am Empfang und stellte die gleiche Frage.
»Studentenausweis?«
»Hab ich im Wohnheim vergessen.«
»Na gut. Aber dass mir das nicht nochmal vorkommt, Kleiner!«
John schenkte ihm ein herzliches Lächeln. »Nenn mich nicht Kleiner, Streber.«
Der Student blickte ihn verwirrt an.
So frustrierend es auch gewesen war, hatte John doch eines von seinem Gespräch mit Wilson mitgenommen: Er wusste nun, nach welchem Thema er in der Bibliothek suchen musste – nach Quantenkosmologie.
Kosmologie beschäftigte sich mit dem Ursprung des Universums, soweit John wusste, während sich Quantenmechanik um kleinste Teilchen drehte, wie Atome und Elektronen. Quantenmechanik verwendete statistische Methoden, um Modelle für das Verhalten dieser Teilchen zu errechnen. Also, folgerte John, versuchte die Quantenkosmologie, mit Hilfe statistischer Methoden ein Modell des Universums zu erarbeiten. Und zwar nicht nur eines Universums, hoffte er, sondern aller Universen.
Wieder gab er seine Suchanfrage im elektronischen Katalog ein und erzielte dreißig Treffer. Danach druckte er die Trefferliste aus und wühlte sich durch die Bücherregale. Zur
Hälfte stellten sich die Bücher als Sammelbände zu bestimmten Tagungen oder Konferenzen heraus. In den Aufsätzen wimmelte es nur so von Gleichungen, die man ohne fortgeschrittene Mathematikkenntnisse nie im Leben nachvollziehen konnte. John hatte keine Chance.
Doch am Anfang eines der Bücher entdeckte er ein Zitat, in dem es um die sogenannte Viele-Welten-Theorie ging: »Wenn sich ein unumkehrbarer Quantenübergang vollzieht, was in unserem Universum fast unendlich oft geschieht, zweigt von diesem Übergang ein neues Universum ab, in dem dieser Übergang nicht stattfand. Unser Universum ist lediglich eines unter einer Myriade Kopien, die sich jeweils leicht von den anderen unterscheiden.«
Sofort verstand er, was der Autor sagen wollte. Mit eigenen Augen hatte er andere Universen gesehen, in denen sich kleine Unterschiede zu radikalen Umbrüchen ausgewachsen hatten, etwa die Erfindung des Elektromotors durch Alexander Graham Bell. Auch wenn er noch viel zu wenig darüber wusste, leuchtete es ihm ein, dass die Universen, die er bisher besucht hatte, aus einem einzigen, unterschiedlich verlaufenen Quantenereignis hervorgegangen waren – und dass es noch Milliarden andere gab.
John schloss das Buch. Nun wusste er genug, um Professor Wilson die richtigen Fragen zu stellen. Diesmal würde er sich nicht so leicht abwimmeln lassen.
Auch der zweite Stock war ihm vertraut: Die gleichen Büros standen leer, die gleichen Aushänge zierten die gleichen Schwarzen Bretter. Wieder fand er Wilsons kleines Büro ganz am Ende des Flurs, und wieder saß der Professor inmitten der aufgetürmten Papiere und Bücher vor seinem aufgeräumten Schreibtisch und las in einer Fachzeitschrift. John fragte sich, ob es vielleicht sogar die gleiche Ausgabe wie beim letzten Mal war.
»Willkommen«, sagte Wilson, nachdem er seinen Gast hereingebeten hatte. »Sie sind der Erste …«
Dafür fehlte John die Geduld. »Ich hätte da ein paar Fragen.«
»Zu den Hausaufgaben?«
»Nein, es geht um etwas ganz anderes. Fragen zur Quantenkosmologie.«
Wilson ließ die Zeitschrift sinken und nickte. »Ein hochkomplexes Thema. Was wollen Sie wissen?«
»Sind Sie Anhänger der Viele-Welten-Theorie?«
»Nein.«
John zögerte. Mit einer so einsilbigen Antwort konnte er nichts anfangen. »Wie, ›nein‹?«
»Nein. Die Viele-Welten-Theorie ist Schwachsinn, meiner bescheidenen Meinung nach. Aber warum interessieren Sie sich dafür? Sind Sie überhaupt in einem meiner Kurse?«
Wilson trug sogar das gleiche
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