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Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe

Titel: Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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von einem Zeugnis zum anderen. Tatsächlich: Auf dem gestohlenen stand »Frank B. Wilson«, auf dem an der Wand »Frank L. Wilson«.
    »Aber das ist doch nur …«
    »Wer hat Sie dazu angestiftet? Greene? So was würde zu ihm passen!«

    John konnte nicht fassen, dass jetzt schon wieder alles den Bach runterging. »Niemand! Das Zeugnis ist echt! Es ist alles echt!«
    »Ich muss schon sagen, dieses Gerät, das Sie da haben, das ist wirklich nicht schlecht. Ein echter Klassiker. Und das Zeugnis – netter Einfall, Respekt!«
    »Glauben Sie mir, bitte! Ich sage die Wahrheit!«
    »Ach, hören Sie doch auf. Ich hab Sie durchschaut, okay? Steht Greene vielleicht vor der Tür?« Wilson hob die Stimme. »Kannst rauskommen, Charles! Ich weiß, dass du da bist!«
    »Charles oder Greene oder wer auch immer hat nichts damit zu tun.« John versuchte, nicht wieder auszurasten, aber es fiel ihm schwer.
    »Und Sie müssen von der Theatergruppe sein! Gute Leistung, alle Achtung!« Wilson lachte schallend. »Zwei weitere Versionen soll es also von mir geben! Dabei ist dieses Universum doch schon mit einer einzigen völlig überfordert.«
    John stand auf und ging zur Tür. Auf einmal war er nur noch müde.
    »Vergessen Sie das hier nicht!«, rief Wilson ihm hinterher und wedelte mit dem gerahmten Zeugnis.
    Aber John drehte sich nicht einmal um. Er zuckte nur mit den Schultern und ging weiter den Flur entlang. Auf dem Innenhof angekommen, ließ er sich auf einer Bank nieder und blieb lange dort sitzen. Die Sonne ging unter. Der warme Spätsommertag verabschiedete sich gemeinsam mit den Studenten, die eben noch mit freiem Oberkörper Frisbee gespielt hatten, ihre Sweatshirts um die Hüften gebunden.
    Als es langsam kühl wurde, lief John das kurze Stück zum Studentenwerk hinüber. Er musste etwas essen, ja, er hatte in der letzten Zeit völlig vergessen, überhaupt etwas zu sich zu nehmen. Sein Magen knurrte hörbar. Appetit hatte er zwar keinen, aber sein Körper brauchte Nahrung.
Dabei hätte er sich am liebsten einfach hingelegt und geschlafen.
    »Papa Bob’s« stand in leuchtenden Buchstaben über der Filiale einer Pizzeria-Kette im Studentenwerk. John besorgte sich eine kleine Pizza und eine Cola, ließ sich auf einen der roten Plastikstühle sinken und kaute mechanisch. Die Pizza schmeckte wie Pappe, zähe Pappe.
    Das Gebäude leerte sich nach und nach. Alle Studenten schienen entweder nach Hause zu fahren oder auf ihre Zimmer zu gehen, um dort zu lernen oder fernzusehen. John wusste nicht, was er noch tun konnte. Sollte er Wilson erneut gegenübertreten? Vielleicht hätte er ihn fotografieren sollen. Oder verlangen, dass er sich selbst eine Nachricht auf ein Blatt Papier schrieb. Aber wahrscheinlich würde der Herr Professor sich dann auf computergenerierte Fälschungen herausreden.
    Als John mit seinem Latein am Ende war, entdeckte er ein Münztelefon in der Ecke. Er stand auf, ging zu dem Telefon hinüber und warf eine Münze ein. Nach kurzem Zögern wählte er die Nummer von zu Hause. Es klingelte.
    »Hallo?«, antwortete seine Mutter.
    »Hallo«, sagte John.
    »Johnny?« Seine Mutter klang überrascht.
    »Nein. Aber könnte ich bitte mit John sprechen?«
    Sie lachte. »Unglaublich, wie ähnlich du ihm klingst! Hast mir direkt einen Schrecken eingejagt, denn er steht gleich neben mir. Ich gebe das Telefon mal weiter, ja?«
    »Hallo?« Es war Johns eigene Stimme.
    »Hi, hier ist Karl Smith. Wir sind zusammen in Englisch.« Auf die Schnelle fiel John nichts Besseres ein.
    »Ja. Und?«, erwiderte sein anderes Ich.
    »Ich hab heute den Unterricht verpasst und wollte fragen, ob wir irgendwelche Hausaufgaben aufbekommen haben?«

    »Ja. Warte mal … Einen Aufsatz über ein Gedicht, das wir heute gelesen haben, ›Maud‹ von Tennyson. Die Stilmittel bestimmen, wie immer.«
    »Alles klar.« John erinnerte sich an das Gedicht, es war in seinem Englischbuch gleich nach dem von Edgar Allan Poe gekommen. »Danke.« Er legte auf.
    Dieses Universum glich Johns eigenem anscheinend bis aufs Haar. Hier würde er sich problemlos einfügen können. Einen Moment lang erschien ihm der Gedanke absolut abwegig, doch dann fragte er sich, was ihn eigentlich davon abhielt.
    John ging zur Bushaltestelle und kaufte sich ein Ticket nach Findlay.

11
    Es war früher Morgen, als John durch Gurney schlich und das Feld der Walders durchquerte. Vorerst wagte er sich nicht allzu nah an sein Zuhause heran. Lieber verbarg er sich in einer Gruppe Ahornbäume,

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