Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
wie ist das passiert?«
»Die Heugabel. Ich hab Dad auf dem Scheunenboden geholfen, hab das Gleichgewicht verloren und bin gefallen. Die Heugabel hat mich am Arm erwischt und meinen Bizeps durchtrennt.« Subprime verzog das Gesicht, als spürte er den Schmerz noch heute.
»Ich erinnere mich.« John sah sich als Zwölfjährigen, der seinem Vater auf dem Scheunenboden beim Heuverladen half und ihm unbedingt beweisen wollte, dass er allein einen ganzen Ballen tragen konnte. Sah, wie seine Kraft ihn verließ und er hinunter in den Hof stürzte. Dabei streifte er die Heugabel, sie fiel um und verletzte ihn leicht an der Schulter. Johns Vater, der alles mitbekommen hatte, war zunächst zu Tode erschrocken und danach fuchsteufelswild. Noch schlimmer schimpfte ihn seine Mutter aus, die Verletzung war gar nichts dagegen.
John blickte Subprime in die Augen. »Bei mir – ich meine, in meiner Welt – war es nur ein Kratzer an der Schulter.«
Für einen Moment wirkte Subprime verwirrt, doch dann lachte er. »In der einen Welt verliert man den Arm, und in der anderen ist es bloß ein Kratzer! Ist wirklich das Tollste, was ich je gehört habe.«
John kapierte es nicht. Warum lachte er nur? Was sollte man dazu sagen? »Tja«, bemerkte er hilflos.
Aber Subprime hatte noch weitere Überraschungen in petto. »Warum kommst du nicht mit rein und frühstückst erst mal?«
Völlig konsterniert starrte John ihn an. Wie konnte dieser Typ ihn auch noch zu sich einladen? »Hey, ich wollte dir dein Leben stehlen!«, schrie er seinem Spiegelbild ins Gesicht. »Das wollte ich, kapiert?«
Subprime nickte ernst. »Daher auch die Schaufel, oder? Aber dann hast du meinen Arm gesehen, und damit war dein schöner Plan im Eimer. Du konntest mein Leben nicht klauen, weil du zwei Arme hast!« Wieder lachte er.
»Nein, so war es nicht. Nicht nur. Ich … Ich hab’s dann doch nicht übers Herz gebracht …«
»Ja, ja, schon klar.«
»Nichts ist klar!« Subprimes unerträglich freundliche Art trieb ihn schier in den Wahnsinn. »Du wirst es nie verstehen! Ich hab alles verloren. Alles!« Er griff sich unters Hemd und stellte den Universumzähler auf die nächste Welt ein. »Ich muss hier weg.«
»Nein, warte!«
John machte drei schnelle Schritte zurück und legte den Hebel um. Die Umgebung verschwamm, Subprime löste sich in Luft auf.
Doch sonst veränderte sich nichts. Drüben stand die Scheune, daneben das Farmhaus, und in der Ferne röhrte der Traktor seines Vaters. Noch ein Universum, in dem kein Platz für ihn war. Er drückte den blauen Knopf und betätigte den Hebel. Abermals die Farm, doch auch hier gehörte er nicht hin. John legte den Hebel um. Nun war die Farm verschwunden, eine leere Wiese an ihrer Stelle. Weiter. Im nächsten Moment tauchte die Farm wieder auf, aber grün gestrichen, nicht rot. Immer und immer wieder stellte John
den Universumzähler ein, immer und immer wieder wechselte er in die nächste Welt. Er musste weg, so weit weg wie möglich, fort von dem Verbrechen, das er um Haaresbreite begangen hätte.
Wolken rasten in chaotischen Mustern über den Himmel. Die Bäume führten einen planlosen Tanz auf, verschwanden und tauchten wieder auf. Das Farmhaus sprang von links nach rechts, manchmal einen Meter weit, manchmal einen halben. Die Scheune legte größere Strecken zurück, einmal stand sie hinter dem Haus, dann östlich davon. Nur das Land blieb sich gleich, ein sanft abfallendes Feld. Einmal ragte direkt vor John die Aluminiummauer eines Hochhauses auf, doch eine Welt weiter war sie wieder verschwunden.
Hundert Universen sah er, hundert Universen oder mehr, und in keinem hatte er einen Platz, in keines gehörte er wirklich. John wusste nicht, wie oft er den Hebel umgelegt hatte, als er sich endlich auf die Erde sinken ließ.
Er hatte sein Leben verloren. Er hatte alles verloren. Und er würde es nie zurückbekommen.
Unendlich erschöpft lehnte John sein tränennasses Gesicht gegen den Stamm eines Ahornbaumes und schloss die Augen. Irgendwann, als seine Wangen getrocknet, seine Atemzüge gleichmäßiger waren, schlief er ein.
12
»Hey! Zeit, aufzustehen!«
Jemand stieß ihn in die Seite. John blickte auf und sah in die Augen seines Vaters.
»Dad?«
»Nicht, dass ich wüsste. Außer meine Frau hat mir was verschwiegen.« Der Mann hielt ihm die Hand hin und half ihm auf.
Ringsum streckten sich die altbekannten Ahornbäume in den Himmel. Der Mann, der nicht Johns Vater sein wollte, stand neben ihm, einen
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