Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
Jugendlichen auf der Tanzfläche aufführten, waren ihm zwar nicht vertraut, aber dafür hatte er in seinem ersten Highschool-Jahr in einem Theaterstück mit vielen Choreografien mitgespielt. Es war ein Theaterstück mit dem Titel Sock Hop gewesen, das in den siebziger Jahren großen Erfolg am Broadway gehabt hatte. Darin kam eine ganze Reihe von Tänzen im Stil der fünfziger Jahre vor, und John hatte den Jitterbug lernen müssen. Jetzt lächelte er herausfordernd. »Die Frage ist eher, ob du mithalten kannst.«
Damit hatte er Caseys Kampfgeist geweckt. »Manchmal verblüffst du mich wirklich, Johnny.« Sie packte ihn am Arm. »Also los.«
Zweimal zeigte John ihr den Schritt – langsam, langsam, schnell, schnell -, und Casey imitierte ihn tapfer. Danach zog er sie an sich und führte sie in der Promenadenposition quer über die Tanzfläche.
Zuerst stolperte Casey ein paarmal, aber bald hatte sie den Dreh raus. Schließlich war sie früher als Cheerleader ständig mit neuen Tanzschritten konfrontiert gewesen, da
war der Jitterbug eine leichte Übung. Als John sie herumwirbelte, stieß sie zwar einen kurzen Schrei aus, aber sobald sie sich wieder in die Augen blickten, strahlte sie über das ganze Gesicht.
Sie hielten drei Songs am Stück durch. Mit der Zeit baute John weitere Schrittfolgen ein. Zunächst hatte er sich etwas eingerostet gefühlt, denn das Theaterstück lag bereits drei Jahre zurück. Damals, als er für den Auftritt üben musste, hatte er in der Küche mit seiner Mutter getanzt, während sein Vater daneben stand und lachte, jedenfalls bis seine Mutter die Hand ihres Mannes ergriff, um John zu beweisen, dass auch sein Vater den Double Lindy draufhatte.
Beim dritten Tanz fiel John auf, dass sie immer mehr Zuschauer hatten. Mittlerweile waren ihre Bewegungen so schnell und variantenreich, dass sie zahlreiche Blicke auf sich zogen. Nach und nach bildete sich ein kleiner Kreis um John und Casey. Offenbar kannte man den Jitterburg hier nicht oder hatte ihn längst auf den Schrottplatz der vergessenen Modeerscheinungen verbannt.
»Es reicht«, erklärte Casey schließlich und stoppte ihn mit ausgestreckter Hand. »Ich kann nicht mehr.« Tatsächlich war sie so außer Atem, dass ihre Brust sich in rasantem Tempo hob und senkte. Am liebsten hätte John sie wieder an sich gezogen, doch er begnügte sich damit, den Arm um sie zu legen und sie zu der improvisierten Bar zu führen. Casey schüttelte seinen Arm nicht ab, sondern lehnte sich noch enger an ihn. Hätten sie nicht die letzten zwanzig Minuten miteinander getanzt, wäre er ob dieser plötzlichen Nähe wahrscheinlich unwillkürlich zurückgewichen. Aber nun existierte eine ganz neue Intimität zwischen ihnen. John musste sich eingestehen, dass Tanzen eine wichtige soziale Funktion erfüllte. Plötzlich war er froh, dass er sich damals mit diesen ganzen Schrittfolgen herumgeplagt hatte.
»Zwei Eiswasser«, sagte John zum Barkeeper.
Casey nahm das hohe, bläulich schimmernde Glas entgegen, tauchte einen Finger hinein und befeuchtete sich die rechte Wange.
Ohne weiter nachzudenken, steckte John einen Finger in sein Glas und tupfte ihr damit auf die linke Wange. »Ich hab doch gesagt, dass ich tanzen kann.«
»Dieser Tanz war mir vollkommen neu. Wo hast du den gelernt?«
»Für ein Theaterstück an der Schule.« John war froh, dass er ausnahmsweise nicht lügen musste.
»Gott, hat das Spaß gemacht!« Wieder tauchte Casey den Finger ins Wasser, aber diesmal spritzte sie John an.
»Hallo, Casey«, rief jemand in ihrem Rücken.
John drehte sich um. Ein großer, dunkelhaariger Jugendlicher hatte sich hinter ihnen aufgebaut.
»Hallo, Jack«, sagte Casey.
»Willst du tanzen?« Der Jugendliche schob sich rücksichtslos vor John.
»Bin zu müde, Jack. Außerdem gehören heute Abend alle meine Tänze John.«
Als hätte er ihn erst jetzt bemerkt, drehte Jack sich um und fixierte John. Er war drei Zentimeter größer, knapp ein Meter neunzig, und hatte sehr breite Schultern. John spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Wie viele Raufereien dieser Hüne wohl das letzte Jahr über ausgetragen hatte? Noch hoffte John, dass er sich entgegen allem Anschein als vernünftiger Mensch entpuppen würde, allerdings stank er nach Alkohol.
»Ach ja?« Jacks Stimme klang noch gehässiger, als John erwartet hatte. »Ja, euren kranken Tanz hab ich mitbekommen. Das hat ihm wohl seine Oma beigebracht, wie?«
John seufzte, zwang sich aber, still zu bleiben.
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