Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
Zwangsläufig bekam Prime die Gerüchte mit: Ein Jugendlicher werde vermisst, man habe ihn zuletzt vor sechsunddreißig Stunden gesehen, sein Wagen sei ebenfalls verschwunden. So gut es ging, konzentrierte Prime sich auf die Arbeit. Stoisch schraubte er ein ums andere Teil zusammen, ohne auf seine Kollegen zu achten.
»Mach mal langsam, Rayburn«, flüsterte Sid, der die nächste Station am Fließband innehatte. »Sonst seh ich ja schlecht aus neben dir.«
Prime hob den Blick und entdeckte die sechs halbfertigen Waschmaschinen, die zwischen ihm und Sid in ihren Halterungen baumelten. Eigentlich hätte dort nur eine Einzige hängen dürfen. »Tut mir leid. Soll nicht wieder vorkommen.«
»Hey, hast du eigentlich diese Sache mit Carson mitbekommen?«
Möglichst überzeugend schüttelte Prime den Kopf.
»Der wird schon seit einer Woche vermisst«, erzählte Sid, während sich Prime in Anbetracht der falschen Information auf die Zunge biss. »Die denken, er ist von einem Kran erschlagen worden oder so was. Hatte keine einzige Sicherheitsübung mitgemacht, aber weil sein Vater irgend so ein Gewerkschafts-Großkotz ist, haben sie ihn trotzdem hier in der Halle arbeiten lassen. Und jetzt ist die Kacke am Dampfen.«
In diesem Augenblick kam ein Vorarbeiter vorbei und fragte, ob jemand nach der Schicht bei der Durchsuchung
der Lagerhallen helfen wolle. Prime grunzte nur mehrdeutig.
»Was ist, Rayburn?«, fragte der Vorarbeiter. »Bist dir wohl zu schade für so was?«
»Ich muss nach der Arbeit noch wohin.«
»Wahrscheinlich wegen dem großartigen Würfel, wie?« Der Vorarbeiter lachte laut auf.
Nun bereute Prime, jemals damit angegeben zu haben. Statt zu antworten, schüttelte er nur den Kopf.
»Zählt die Suche als Arbeitszeit?«, fragte Sid.
Wieder lachte der Vorarbeiter. Sid verzichtete ebenfalls darauf, sich freiwillig zu melden.
Zu Hause benahmen sich Casey und Prime beinahe normal. Ein paarmal fiel ihm auf, dass sie ihm zweifelnde Blicke zuwarf, aber er ging nicht darauf ein. Es war leicht, sich in der Sorge für Abby, im Alltag des Ehelebens zu verlieren. Jetzt, da er sich nicht mehr um den Würfel kümmern musste, hatte Prime abends viel mehr Zeit. Für Shining interessierte er sich überhaupt nicht mehr. Zwar hatte er in der letzten Woche alles verloren, was ihm heilig gewesen war, doch als er gemerkt hatte, dass er kurz davor stand, auch Casey und Abby zu verlieren, war ihm endlich bewusst geworden, was in seinem Leben wirklich zählte.
Am nächsten Arbeitstag befragte ein Polizeibeamter sämtliche Personen, die enger mit Carson zusammengearbeitet hatten. Einer nach dem anderen wurden Carsons Kumpels in ein kleines Büro geführt, fünfzehn bis zwanzig Minuten später war dann der Nächste an der Reihe. Von seiner Position am Fließband aus konnte Prime die Eingangstür des Büros mühelos im Blick behalten. Zweimal spürte er, wie ihn einer von Carsons Kameraden anstarrte, aber immer wenn Prime den Blick erwiderte, schaute der andere weg.
Schließlich war die Schicht zu Ende – und Prime war nicht in das Büro gerufen worden. Vielleicht hatte er sich die
Sache mit Carsons Kumpels auch nur eingebildet. Erschöpft ging er in die Umkleidekabine. Gerade wollte er den Reißverschluss des Overalls öffnen, als er Carsons Vater neben sich bemerkte. Ansonsten war der Raum plötzlich leer. Prime wandte sich Carson senior zu und blickte ihm direkt in die Augen. »Was ist?«
»Hab gehört, dass da irgendwas war zwischen dir und meinem Sohn.«
»Und?«
»Vielleicht hast du’s noch nicht gehört, aber er ist verschwunden. Wenn du irgendwas weißt, musst du es der Polizei sagen.«
Prime stieß ein Lachen aus, das eher einem Bellen ähnelte. »Ich habe nichts zu sagen.«
»Aber wenn dir was einfällt …«
»Nichts! Gar nichts!«
Carson senior lief dunkelrot an. Einen Faustschlag hätte Prime wohl kaum überlebt, denn der Mann war zwar ziemlich untersetzt, aber sehr muskulös und zweimal so breit wie er. »Das merke ich mir, falls du selbst mal Hilfe brauchst«, sagte Carson senior, drehte sich um und verließ mit schweren Schritten die Umkleidekabine.
Als Prime zu Hause vorfuhr, stand ein Streifenwagen in der Einfahrt. Einen Moment lang dachte er daran, einfach weiterzufahren, doch stattdessen suchte er sich einen Parkplatz an der Straße und stieg die Treppe zur Wohnung hinauf.
Prime öffnete die Tür und schluckte: Ein Polizist in Uniform und ein Mann in Zivil standen in der Küche.
Sofort kam Casey
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