Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
genauer hinhörte, ging es um Katzen, Cartoons oder sogar um Khartoum. Zweimal wäre er beinahe aus der Werkhalle geflohen. Schweißgebadet zog er sich zur Pause in eine Duschnische in der Umkleidekabine zurück. Er bekam fast keine Luft mehr. »Reiß dich zusammen«, flüsterte er vor sich hin. »Keiner weiß davon. Bisher wird er noch nicht mal vermisst.«
Als er sich auf den Heimweg machte, sah er, wie Carsons Vater auf dem Parkplatz mit einem Vorarbeiter sprach. Schnell senkte Prime den Blick und stieg ins Auto.
Zu Hause begrüßte Abby ihn mit einem fröhlichen Gurren, als ob nichts passiert wäre, aber Casey blickte ihn nur aus leeren, ausdruckslosen Augen an. Sie hatte kein Lächeln, keine Umarmung, nicht mal ein leichtes Zwinkern für ihn übrig. Kaum war Prime einen Schritt auf sie zugegangen, spürte er, wie sich ihre gemeinsame Schuld wie ein tiefer, dunkler Abgrund zwischen ihnen auftat. Wie hatten sie das nur tun können?
Beim Abendessen fiel kein einziges Wort. Und als sie schlafen gingen, legten sie sich so weit auseinander wie möglich.
Prime war schon fast eingeschlafen, als Caseys Stimme die Stille durchbrach. »Wir haben also nur einen von unendlich vielen Carsons umgebracht.«
»Ja. Nur einen. Und er hatte es ver…«
»Tu das nicht. Versuch nicht, es zu rechtfertigen.«
»Hast du nicht eben dasselbe versucht?«
In der Dunkelheit spürte Prime, wie Casey sich mit dem Handrücken über das Gesicht fuhr. Sie weinte.
»Wir hatten doch keine andere Möglichkeit«, sagte sie nach einer Weile, »oder? Hätten wir es nicht getan, hätte Abby ohne Vater aufwachsen müssen.«
»Carson war nicht hier, um mit uns zu plaudern«, bestätigte Prime. »Er wollte uns angreifen. Wir haben nur getan, was getan werden musste.«
Seufzend rollte sich Casey zu ihm herüber und umklammerte seine Beine mit ihren. »Warum hast du dir unter all den Caseys mich ausgesucht?«
»Weil ich immer dich aussuche.«
»Ja, aber warum gerade mich? Warum nicht eine andere Casey?«
Prime zuckte mit den Schultern. »Weil du … du bist. Du bist wunderschön, interessant, sexy …«
»Also nur, weil du mich sexy findest?«
»Nein! Weil wir füreinander bestimmt sind.«
»Aber vielleicht bist du ja für eine andere Ausgabe von mir bestimmt?«
»Hier bin ich gelandet, in diesem Universum. Das muss Schicksal sein.«
»Und was ist mit dem anderen John? Dem von hier? Was, wenn er und ich eigentlich füreinander bestimmt waren, und du hast alles ruiniert?«
»Er hat doch nicht mal mit dir gesprochen!«
»Stimmt. Niemals mehr als ein, zwei Sätze. Obwohl ich ihm jede Gelegenheit dazu gegeben habe.«
»Aber ich hab gleich am ersten Tag mit dir gesprochen.«
»Bei dem Mittagessen, meinst du. Ja, da warst du auf einmal ganz anders.«
»Ich war ja auch ein anderer.«
»Und das war das Erste, was du hier überhaupt getan hast?«
»So ziemlich, ja.«
»Und dann haben sie dich von der Schule suspendiert.«
»Genau.«
»Und du hast mit deinem tollen Würfel-Projekt angefangen.«
»Ja.«
»Aber ich war zuerst dran.«
»Ja.«
»Und wenn du jetzt in ein anderes Universum reist und eine andere Casey triffst, würdest du die dann auch wollen?«
»Casey, was soll das?«
Mit einer geschmeidigen Bewegung rollte sie sich auf ihn und klemmte ihn mit ihren Beinen ein, so dass er ihre Hitze an seinem Schritt spüren konnte. »Meinst du nicht, dass ich ein paar Antworten verdient habe? Also, würdest du es mit jeder Casey machen, die dir über den Weg läuft?«
»Nein, manche sind … besser als andere.«
»Besser?«
»Manchmal bist du nicht mehr … du selbst. Manchmal hast du die Schule abgebrochen, bist schwanger geworden …«
»So wie hier also?«
»Oder du bist von zu Hause weggelaufen. Dann bist du nicht mehr so schön und so … interessant.«
»Wie viele Caseys hattest du schon?«
Prime schwieg.
»Antworte mir!« Mit aller Kraft drückte sie ihre Hüfte gegen ihn.
Er stöhnte auf, halb vor Lust, halb vor Schmerz. »Zehn.«
»Zehn? Du hast es mit zehn verschiedenen Caseys getrieben?« Sie knabberte ihm leicht an der Kehle. »Was hatten sie, was ich nicht habe?«
»Nichts. Du bist die Beste.«
Jetzt biss sie richtig zu. »Glaub nicht, dass ich auf deine Lügen hereinfalle.«
Er schrie vor Schmerz auf. Dann machten sie schweigend weiter, in einer Nacht voller Wut und Verzweiflung.
Am folgenden Montag durchkämmte eine Gruppe von Arbeitern das gesamte Fabrikgelände einschließlich der Werkhalle.
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