Die Maurin
nicht, dass sie gestorben war. Erst sollte er weiter zu Kräften kommen, und auch Maria, die ob seiner Worte wie die aufgehende Sonne aufstrahlte, vertrug sicher nicht gleich einen neuen Schock.
Nach vier Tagen war Raschid so weit gestärkt, dass sie die Heimreise antreten konnten. Ihr Gastgeber überließ ihnen eins seiner Pferde und ein Maultier für Maria. Während es Raschid und auch Maria kaum erwarten konnten, die Seidenfarm zu erreichen, wurde Zahra mit jeder Legua, die sie sich der Farm näherten, beklommener zumute. Ihr Vater – Ibrahim … Sie wusste nicht, wen sie mehr fürchtete.
Als Zahra und Raschid das Haus ihres Vaters auf der Seidenfarm betraten, erwartete Tamu sie im Flur, als hätte sie gewusst, dass sie gerade in diesem Moment eintreffen würden. Wortlos drückte sie die Geschwister an sich und ließ sie lange nicht wieder los. Auch Raschid war tief bewegt. »Ach, Tamu, gute, alte Tamu!«
Er bat die Berberin sich ihrer jungen Begleiterin anzunehmen. Dann wollte er zu seinen Eltern. Tamu blickte fragend zu Zahra, die beredt den Kopf schüttelte.
»Euer Vater ist in seinem Arbeitszimmer«, sagte Tamu also nur und hielt Zahra an der Hand fest, aber diese hatte ohnehin nicht vorgehabt, ihrem Vater schon jetzt unter die Augen zu treten. Sie folgte Tamu und Maria in die Küche, wo sie mit Pinienkuchen und Mandelmilch bewirtet wurden. Zahra brachte keinen Bissen herunter, ermunterte aber Maria, kräftig zuzulangen. Als das Mädchen zu essen begann, bat sie Tamu leise, mit ihr hinauszugehen.
»Was habt Ihr auf dem Herzen, mein Kind?«, fragte Tamu.
»Vater …« Zahra stockte. »Wie hat er es aufgenommen, dass ich wegen Raschid weggelaufen bin?«
Tamu krauste die Stirn. »Er hat vor Wut getobt! Das sei nicht Eure Aufgabe, hat er gebrüllt, und dass er genug habe von Euren Eigenmächtigkeiten. Dass Hayat weggelaufen ist, hatte er schon von Ali al-Attars Boten erfahren. Ihr werdet Euch auf einiges gefasst machen müssen.«
»Und wie hat er Mutters Tod aufgenommen?«
»Er redet nicht über sie, noch keine Silbe, und so muss es von Anfang an gewesen sein: Die Diener haben mir erzählt, dass er völlig versteinerte, als ihm Ali al-Attars Bote die Todesnachricht überbrachte. Hernach hat er sich über Tage in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen; selbst zum Essen und Schlafen kam er nicht heraus.« Tamu hob hilflos die Achseln. »Auch als wir hier eintrafen, zeigte er keine Gefühlsregung; selbst Mahdi hat er kaum einen Blick zugeworfen, gerade als sei er das Kind einer Fremden.«
»Und dabei bräuchte Mahdi ihn so sehr, wo er schon keine Mutter mehr hat!« Zahra musste schlucken. »Wer kümmert sich jetzt eigentlich um ihn?«
Ein breites Lächeln schob die Falten auf Tamus Gesicht wie einen Fächer zusammen. »Keine Sorge: Mahdis Sonnenlächeln kann niemand widerstehen. Von Eurem Vater abgesehen, reißt sich ein jeder im Haus darum, ihn auf den Arm nehmen und herzen zu dürfen!«
Zahra lachte, doch dann musste sie an Zainab denken. Sie strich sich über den Hals. »Ist – ist Zainab noch immer so wütend auf mich?«
Tamus Miene umwölkte sich. »Sie ist nicht mehr hier.«
»Wie? Sie ist nicht mehr hier? Meine kleine, immer korrekte Schwester wird doch wohl nicht in Hayats Fußstapfen getreten sein?«
»Fast wünschte ich, sie wäre es.« Tamu druckste herum. »Mein Gott, ich weiß gar nicht, wie ich es Euch sagen soll …«
Zahra erblasste. »Sie ist doch nicht etwa gestorben?«
Tamu schüttelte den Kopf. »Euer Vater – und Ibrahim … Ich weiß nicht, wer von den beiden wütender auf Euch war. Auf jeden Fall erboste sich Ibrahim, dass er den Ärger mit Euch leid sei und zurück nach Marokko müsse, und so hat Euer Vater ihm …« Tamu brach ab.
»Nein, Tamu, sag, dass das nicht wahr ist! Er hat nicht Zainab diesem – diesem Vieh überlassen!«
»Ich habe gespürt, dass er nicht gut zu Euch gewesen ist, und habe versucht, mit Zainab zu reden. Sie hätte zumindest versuchen können, Euren Vater umzustimmen. Schließlich war sie eigentlich einem anderen Mann versprochen, aber sie war sogar richtiggehend von Ibrahim angetan.«
»Wahrscheinlich hat das dumme Ding auch noch gedacht, sie würde mir damit eins auswischen«, stöhnte Zahra.
Eine Dienerin eilte zu ihnen und blickte Zahra mit erschrockenen Häschenaugen an. »Ihr sollt sofort zu Eurem Vater kommen!«
Tamu strich Zahra über den Arm. »Der Allmächtige stehe Euch bei!«
Als Zahra das Zimmer ihres Vaters betrat,
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