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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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konnte, dass alle schliefen, stahl sie sich hinaus. Im matten Mondlicht unterschied sie das prächtige Haupthaus, weitere Ställe, in denen im Winter wohl Schafe und Kühe untergebracht wurden, ein Gehege für die Hühner, einen Flachbau, in dem wahrscheinlich das Gesinde wohnte, und ein kleines Gebäude, dem sie keine Funktion zuweisen konnte. Sie beschloss, sich dort zuerst umzusehen. Sich immer wieder umblickend, schlich sie an den Stall- und Hauswänden entlang dorthin und sah durch eines der Fenster. Das Häuschen schien nur aus einem einzigen Raum zu bestehen. Zahra sah allerlei große Dinge darin stehen. Sie schlich zur Tür, fand sie unverschlossen und drückte sich durch den Türspalt. Als sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, machte sie allerlei Schmiedewerkzeug aus, ein zerbrochenes Wagenrad, Brennholz und verbeulte Eimer. Ganz hinten in der Ecke lag etwas auf dem Boden. Zahra ging leise näher und presste kurz darauf erschrocken die Hand auf den Mund.
     
    Den Kopf seitlich auf Arme und Knie gebettet, hockte Raschid auf dem nackten Boden und stöhnte im Schlaf. Obwohl Zahra ihren Bruder in ihren Träumen gesehen hatte, war sie doch schockiert, ihn in einer solch schlechten Verfassung zu sehen. Sein von Schrammen und Platzwunden übersätes Gesicht schien ihr vor allem aus den markant hervorstehenden Wangenknochen zu bestehen, die Augen waren eingesunken, die Lippen trocken und aufgeplatzt. Zahra kniete sich vor ihn und sah, dass seine Cotte, ein hemdartiger, hüftlanger Kittel aus grobem Wollstoff, wie ihn die kastilischen Bauern trugen, und seine Bruche, eine aus Leinen gefertigte, weite Hose, vor Dreck starrten, als hätte man ihn durch eine Schlammpfütze gerollt, und an vielen Stellen zerrissen und voll getrocknetem Blut waren. Behutsam hob sie einen Stofffetzen an und entdeckte darunter hässliche, eiternde Wunden. Raschid schrak auf, zog reflexartig den rechten Arm hoch und hielt ihn wimmernd über den Kopf. »Nein, bitte nicht schlagen, ich kann nicht mehr!«
    »Scht, Raschid, ruhig, ich bin’s, Zahra!«
    Verwirrt blickte er unter seinem Arm zu ihr auf. Unglaube und Misstrauen standen in seinen Augen und nackte Furcht. Sanft drückte Zahra seinen Arm nach unten und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. »Niemand wird dich mehr anrühren!«
    »Bist – bist du es wirklich?«, hauchte er. Kraftlos sank er mit dem Kopf gegen die Wand.
    »Ich hole dich hier raus, Raschid«, versprach Zahra. Sie strich ihrem Bruder das schweiß- und blutverklebte Haar aus dem Gesicht und ließ die Hand auf seine Schulter sinken. Raschid zuckte zusammen. »Arm … gebrochen«, stöhnte er. »Und Durst, Durst …«
    »Sobald wir hier heraus sind, bekommst du Wasser. Meinst du, du kannst laufen?«
    Raschid nickte, hob aber zugleich den Fuß ein Stück weit an. Eine Kette rasselte. Sie war an seiner Fußfessel angeschmiedet.
    Zu schade, dass wir hier drin kein Pferd haben, dachte Zahra in Erinnerung an die Befreiung Miguels in Granada. Sie begutachtete die Fußfessel und verfolgte den Verlauf der Kette. Sie endete an dem Gitter des rückwärtigen Fensters, wo sie mit einem dicken Vorhängeschloss befestigt war. Zahra kniete sich wieder vor ihren Bruder. »Wo ist der Schlüssel?«
    Raschid hob matt die Achseln und verzog sogleich schmerzhaft das Gesicht. »Hat der Mistkerl einstecken.«
    »So ein großer, bulliger Kerl?«, fragte Zahra. Raschid sah sie erstaunt an. »Woher weißt du …? Und überhaupt, wie kommst du …«
    »Das erzähle ich dir später.«
    Zahra fuhr sich nachdenklich mit der Hand über den Kopf und wunderte sich, was sie für ein kleines Stoffding auf dem Haar hatte, dann fiel ihr wieder ein, dass sie das Kopftuch der Bäuerin statt ihres Hidschabs trug. »Wo schläft er?«
    »Gesindehaus. Ist hier … Aufseher«, brachte Raschid schleppend hervor. »Zahra, hol Vater. Zu gefährlich!«
    »Bis ich Vater hergeholt habe, lebst du nicht mehr!«
    Raschids Kopf sank zur Seite. »… zu fliehen versucht. Zum dritten Mal … haben mich zusammengeschlagen … wollen mich verdursten lassen …«
    Zahra wurde klar, dass Raschid auf der Stelle Wasser brauchte. Wenn sie ihn von hier wegbringen wollte, musste er einigermaßen bei Kräften sein. Sie machte ihrem Bruder ein Zeichen, dass sie gleich zurückkommen würde, huschte zurück in den Pferdestall und kam kurz darauf mit einem Eimer Wasser wieder. »Sehr sauber ist es nicht, aber besser als nichts. Wenn ich im Brunnen frisches Wasser hole, hört

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