Die Maurin
noch wenige Schritte von ihnen entfernt.
Raschid stieß Zahra an. Zahra hob fragend die Augenbrauen. Ihr Bruder zeigte auf die Ladefläche des Wagens. Jetzt sah auch Zahra den Hammer, der dort lag. Den Blick fest auf den Aufseher gerichtet, der die arme Magd erneut schlug und kaum noch zehn Schritte von ihnen entfernt war, schnellte sie hoch, schnappte sich den Hammer und duckte sich wieder. Raschid hielt ihr auffordernd die Hand hin. Zahra schüttelte den Kopf. So geschwächt, wie ihr Bruder war, konnte sie mit dem Hammer sicher mehr ausrichten als er. Raschid runzelte die Stirn und streckte ihr die Hand noch nachdrücklicher entgegen, wobei seine Kette rasselte. Es war nur ein kurzes, metallisches Klingeln. Sie beide fuhren erschrocken zusammen, und im nächsten Moment schoss der Aufseher um den Wagen herum und direkt auf sie zu. Er stürzte sich auf Raschid und rammte ihm die Faust ins Gesicht. Raschid ging zu Boden. Zahra hob den Hammer und schlug zu. Sie erwischte den Aufseher seitlich am Kopf. Er taumelte und fiel gegen die Kutsche. Entsetzt wich Zahra zurück und ließ den Hammer fallen. Doch dann stand der Aufseher schon wieder aufrecht. Raschid schnappte sich den Hammer und donnerte ihn mit der spitzen Seite in das Bein seines Peinigers. Er brüllte auf. Raschid rappelte sich auf die Beine und schlug ein zweites Mal zu: diesmal auf die Stirn. Wie ein gefällter Baum kippte der schwere Mann zu Boden, zuckte noch einmal und rührte sich nicht mehr. Aus dem Loch in seiner Stirn quollen Blut und Gehirnmasse. Zahra spürte einen Brechreiz und drückte die Hände vor den Mund. Dann fiel ihr Blick auf die Magd. Wie ein Geist kam sie ihr vor in ihrem dünnen, weißen Nachtgewand. Ihr schmales Gesicht war bleich wie das einer Toten, die Augen riesengroß. Für einen Moment dachte Zahra, sie würde jetzt den ganzen Hof zusammenschreien, aber dann wankte ihr Bruder zu ihr und strich ihr sanft über den Arm. »Alles ist gut, Maria, ganz ruhig, der tut dir nichts mehr!«
Seine Worte lösten ihre Starre. Dicke Tränen rannen über ihre Wangen.
»Komm mit uns, Maria«, forderte Raschid sie leise auf und streckte ihr die Hand hin.
Auch Zahra fand nun ihre Fassung wieder und legte den Arm um das Mädchen, das am ganzen Leib zitterte. Zahra schätzte sie auf höchstens dreizehn Jahre. »Bei uns wird dir nichts geschehen!«, versprach sie ihr.
Lautlos schlichen sie zum Tor, stahlen sich hinaus und zogen die Tür sorgsam wieder hinter sich zu.
Im Wald schiente Zahra notdürftig Raschids Arm. »Im Maurengebiet finden wir sicher jemanden, der das besser kann«, tröstete sie ihn, und Raschid wusste auch, an wen sie sich wenden konnten: »Nur fünfzehn Leguas von hier ist mein alter Freund Assad Alcalde. Dorthin wollte ich mich bei meinen Fluchtversuchen durchschlagen.«
»Und du meinst, so weit schaffst du es?« Zahra sah ihn zweifelnd an, aber Raschid nickte. »Am schlimmsten war der Durst!«
Auf dem Weg zu dem Dorf erzählte Raschid Zahra, was ihm widerfahren war. Als er die Alhambra verlassen hatte, sprach ihn ein Mann an, der behauptete, Beweise dafür zu haben, dass Isabel de Solís einen Anschlag auf einige der Berater Hassans plane. Raschid folgte ihm in ein verfallenes Haus im
suq,
in dem ihn sein Stiefbruder erwartete. Er werde ihm nie mehr in die Quere kommen können, hatte Yazid geknurrt und seine Gefolgsleute mit einer herrischen Geste angewiesen, ihn fortzuschaffen. Als sich Raschid zur Wehr setzte, schlugen sie ihn zusammen. Das Nächste, woran er sich erinnern konnte, waren tief einschneidende Fesseln an Hand- und Fußgelenken, höllische Schmerzen, die sich durch den ganzen Körper zu ziehen schienen, und der verdrossene Blick eines fettwanstigen Kastiliers, der von oben auf ihn hinuntersah und sich darüber beschwerte, dass er in diesem Zustand auf dem Sklavenmarkt keinen ordentlichen Preis erzielen werde …
Am späten Nachmittag erreichten sie das Dorf. Assad ließ sofort seinen Leibarzt kommen, der Raschids Arm und die zahlreichen Wunden versorgte, der Schmied nahm ihm die Fußfessel ab, und Zahra und Maria wurden derweil in den Frauengemächern von den Dienerinnen verwöhnt.
Am Abend bot Raschid Maria an, mit ihnen nach Granada zu kommen. »Ich versichere dir, dass dir bei uns niemand ein Leid zufügen wird. Meine Mutter ist selbst Kastilierin. Sie wird sich freuen, dich in ihre Dienste zu nehmen!«
Die Erwähnung ihrer Mutter versetzte Zahra einen Stich, aber sie sagte Raschid auch jetzt
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