Die Maurin
vielleicht jemand das Quietschen der Kurbel«, flüsterte sie und gab ihm aus ihren Händen zu trinken.
Als die Flüssigkeit seine aufgesprungenen Lippen berührte, stöhnte Raschid, trank aber trotzdem gierig weiter.
»Mehr gebe ich dir besser nicht. Ich glaube, man muss sich erst langsam wieder ans Trinken gewöhnen. Und jetzt hole ich den Schlüssel. Wo trägt ihn der Mann?«
»An einer Kette an seinem Wams, aber das ist viel zu gefährlich. Im Gesindehaus schläft mehr als ein Dutzend Leute, irgendwer würde dich sicher bemerken, und vielleicht lässt er die Schüssel nachts auch im Herrenhaus.« Er regte sich und verzog erneut schmerzhaft das Gesicht. Zahra tastet seinen linken Arm ab. »Oh, Raschid, der ist mindestens zweimal gebrochen!«
Raschid winkte ab. »Eine Feile …« Er wedelte mit der Hand seines unverletzten Arms zu dem Werkzeug am anderen Ende des Raumes. »Mit der kurzen Kette komme ich nicht da hinten dran, aber ich weiß, dass da Feilen liegen. Vielleicht bekommen wir damit das Gitter durch.«
Zahra fand rasch eine Feile und legte sie an den Gitterstab an, doch als das metallisch-scharfe Schabgeräusch durch die Nacht schallte, hielt sie sofort inne. »Verdammt, Raschid, so wecken wir den ganzen Hof auf!«
»Allerdings«, murmelte er und rappelte sich mühsam hoch. »Gib sie mir mal!«
Raschid versuchte es selbst, aber auch er machte viel zu viel Lärm. Verzweifelt stieß er die Feile auf den Fenstersims, wobei Mörtel herausbröckelte.
»Mensch, Raschid, das ist es!«, rief Zahra, nahm die Feile und kratzte und bohrte um die Stelle herum, an der das Gitter in die Mauer eingelassen war. »Schau nur, der Mörtel ist brüchig, und Lärm macht es auch kaum. Wir graben die Stange aus!«
Raschid brachte ein Lächeln zustande. »Du warst schon immer ein heller Kopf. Meinst du, du schaffst das allein?«
Zahra nickte und feilte und bohrte sogleich unter dem Gitterstab weiter. Raschid ließ sich matt an der Wand herabgleiten.
Binnen kürzester Zeit hatte Zahra die Stelle unter der Gitterstange tief genug ausgehöhlt, um das Vorhängeschloss darunter hindurchziehen zu können. Damit konnte sich Raschid jetzt frei bewegen. Gierig trank er noch einmal von dem Wasser, dann ließ er sich von Zahra die Kette hochreichen und zog sie stramm an, damit sie beim Gehen nicht rasselte. Anschließend stützte er mit seinem unverletzten Arm den gebrochenen und drückte ihn behutsam an den Körper. Er machte einen Probeschritt und nickte. »So wird es gehen. Dann los, nichts wie weg von hier!«
Zahra ging zur Tür und spähte in den Hof. Noch immer war alles ruhig. Sie winkte ihrem Bruder zu, ihr zu folgen.
Wiederum schlich Zahra dicht an den Häuser- und Stallwänden entlang und blickte sich regelmäßig um, ob ihr Bruder ihr noch folgte. Im Mondlicht sah sie, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete und er trotz der Schonhaltung seines Armes bei jedem Schritt die Zähne zusammenbiss. Sie waren schon beim Pferdestall angelangt und wollten gerade zum Brunnen schleichen, als die Tür des Gesindehauses aufging und der bullige Aufseher ein junges Mädchen hinausstieß. Das dünne, kaum bekleidete Ding wimmerte herzzerreißend. »So lasst mich doch, ich flehe Euch an: Lasst mich!«
»Halt die Klappe!«, herrschte er sie an und verpasste ihr eine Ohrfeige. Das Mädchen taumelte.
Raschid machte Zahra Zeichen, sich hinter der Kutsche zu verstecken, die vor dem Pferdestall stand. Auf Zehenspitzen schlich sie weiter, Raschid folgte ihr in geduckter Haltung. Als ein Stein unter seinem Fuß knirschte, zuckte Zahra zusammen, aber der Aufseher schien es nicht zu bemerken; er drosch weiter auf die Magd ein. Zahras Blick fiel voll Schreck auf die Tür des Werkzeugraums. Sie hatten vergessen, sie hinter sich zu schließen. Sie tippte Raschid an und wies mit der Hand zur Tür. Raschid fluchte lautlos und blickte zurück zu dem Aufseher. Noch war ihm die offen stehende Tür nicht aufgefallen. Er trieb das Mädchen in ihre Richtung, zum Pferdestall. Zahra ahnte, was er vorhatte: Wahrscheinlich hatte der alte, geile Bock sie erst im Gesindehaus besteigen wollen, aber dann hatte sie sich gewehrt, und damit sie nicht die anderen weckte, zerrte er sie nun an einen Ort, an dem er ungestört war. Zahra sah zu ihrem Bruder. Seine Backenmuskeln traten in dem knochenmageren Gesicht überdeutlich hervor, seine Augen glühten vor Wut und Hass. Vor allem aber brachte das Vorhaben des Aufsehers auch sie selbst in Gefahr. Er war nur
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