Die Maurin
Augen, um abzuschätzen, mit welcher Stärke die Kastilier anrückten, doch die Bewaldung des Hügels war zu dicht. Schließlich erschien in seinem Blickfeld die Standarte der Angreifer.
»Könnt Ihr sehen, welches Abzeichen auf dem Wappen ist?«
Angestrengt blickten Raschid und Boabdil zum Hügel hoch.
»Es ist ein Tier darauf«, meinte Boabdil, und Raschid fügte hinzu: »Es könnte ein Hund sein.«
»Ein Hund?« Ali al-Attar fluchte. »Das kann nur das Wappen der Städte Baeza und Úbeda sein – und würde bedeuten, dass sie ganz Andalusien zu den Waffen gerufen haben!« Er drehte sich zu den Trompetern um. »Los, blast zum Rückzug! Gegen diese Übermacht können wir nichts ausrichten!«
Er wendete sein Pferd und drängte Boabdil zu fliehen. »Wenn Sie Euch gefangen nehmen, wäre das unser Ende!«
»Aber wir können doch nicht wie die Hasen davonlaufen!«, begehrte Boabdil auf, aber Raschid stimmte Ali al-Attar zu. »Lucena können wir auch noch an einem anderen Tag erobern – aber nicht, wenn die Christen Euch in ihre Gewalt bringen!«
Unwillig wendete Boabdil sein Pferd und folgte Raschid und seinem Schwiegervater. Raschid blickte zurück. »Schneller!«, rief er. »Die Ersten sind schon ganz nah! Wir müssen vor ihnen über die Brücke gelangen!«
Sie trieben ihre Pferde an, doch die Kastilier näherten sich der Brücke schneller als sie.
»Dann müssen wir eben durch den Fluss!«, rief Ali al-Attar und preschte auf das Ufer zu.
Der meist behäbige Fluss hatte sich durch die Winterregen in einen reißenden Strom verwandelt, doch die vermeintliche kastilische Übermacht ließ ihnen keine Wahl. Am Ufer sprangen sie von den Pferden. »Legt die Kettenhemden ab, los, schnell«, rief Ali al-Attar. »Sonst zieht es euch unter Wasser!«
Rasch zogen sie die aus Tausenden, untereinander vernieteten Eisenringen bestehenden Hemden, die Kettenfäustlinge und Kettenkapuzen aus. Ali al-Attar watete als Erster in den Fluss, der schnell tiefer wurde. Er wickelte die Zügel seines Pferdes stramm um den rechten Unterarm und schob sich weiter hinein. Obwohl er groß gewachsen war, reichte auch ihm das Wasser schon nach wenigen Schritten bis zur Brust. Er trieb die anderen an, ihm nachzukommen. Raschid ließ Boabdil den Vortritt, dann zog auch er sein Pferd in den Fluss. Die Strömung war so stark, dass er Mühe hatte, nicht von ihr mitgerissen und damit zu der inzwischen von den Kastiliern besetzten Brücke getrieben zu werden. In der Flussmitte entglitten Raschid die Zügel. Sein Pferd wurde so schnell von der Strömung weitergetrieben, dass er es verloren geben musste. Mit kraftvollen Zügen schwamm er zu Boabdil und half ihm, dass dessen Ross nicht das gleiche Schicksal ereilte. Keuchend erreichten sie das andere Ufer. Raschid kletterte hinaus und half Boabdil und anschließend auch Ali al-Attar die Böschung zu erklimmen; zugleich kamen auch die anderen Leibwächter Boabdils an. Immer wieder warf Raschid einen Blick zur Brücke. Nachdem die Kastilier gesehen hatten, dass ihnen die Durchquerung des Flusses gelang, löste sich dort ein Trupp mit einem guten Dutzend Männer und jagte auf sie zu, während auf der anderen Flussseite die ersten kastilischen Ritter angekommen waren und die maurischen Soldaten angriffen. Auf beiden Seiten gab es Tote. So mancher Verwundete suchte sein Heil in der Flucht, doch mit ihren Verletzungen, Rüstungen oder Kettenhemden hatten sie keine Chance, dem reißenden Fluss wieder zu entkommen. Todesschreie gellten aus den Fluten, das Wasser begann sich rot zu färben, und christliches und maurisches Blut mischte sich untrennbar mit dem Wasser des Genil.
»Wir müssen weiter, schnell!«, drängte Ali al-Attar Boabdil und schwang sich auf sein Pferd. Wieder erreichte einer von Boabdils Leibwächtern mit seinem Pferd das rettende Ufer. Als er die Böschung eben erklommen hatte, traf ihn ein kastilischer Armbrustpfeil im Rücken. Sterbend sank er ins Gras. Raschid fing sein Ross ein und schwang sich in den Sattel. Beinahe gleichzeitig mit Ali al-Attar, Boabdil und den anderen Leibwächtern preschte er los und hielt auf den nahen Wald zu, doch dann schnitt ihnen eine kastilische Truppe mit Rittern in den edelsten Rüstungen den Weg ab. Mit grimmiger Entschlossenheit zogen sie ihre Schwerter.
»Da vorn reitet Boabdil. Los, beeilt euch, damit er uns nicht entwischt!«, trieb Don Diego seine Ritter an. »Wir müssen ihm den Weg abschneiden! Ohne ihre Kettenhemden sind die Mauren viel
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