Die Maurin
diplomatisch mit der schweren Erkrankung seines Onkels entschuldigt, die es diesem derzeit unmöglich mache, seine Truppen zu befehligen und seine Stadt gegen die häufigen Maureneinfälle zu schützen, was durchaus der Wahrheit entsprochen hatte. Doch auch jetzt, da sich sein Onkel längst wieder bester Gesundheit erfreute, hielt sich Gonzalo weiter in dessen Burg auf und hoffte inständig, dass die Könige ihm noch nicht so bald einen Boten schickten, um ihn zu fragen, wann er seinen Dienst am Hof wieder aufzunehmen gedenke.
»Deine Unruhe ist allmählich kaum noch zu ertragen«, knurrte Don Diego, als Gonzalo zum zwanzigsten Mal an ihm vorbeimarschierte.
Gonzalo trat an eines der Turmfenster und sah auf die hohen, schon jetzt im April sonnenverbrannten Hügel der Horquera, die Baena von Lucena trennten und im Licht der untergehenden Sonne regelrecht zu glühen schienen.
»Ich mache mir einfach Sorgen«, brummte er finster.
»Das tue ich schon mein Leben lang«, gab sein Onkel spöttisch grinsend zurück. »Was glaubst du eigentlich, was wir hier, so wenige Leguas von der maurischen Grenze entfernt, für ein Leben führen? Die Tage, die ich hier ruhig geschlafen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Aber das, worauf es ankommt, ist nicht die Gefahr, sondern dass man lernt, nicht in ihr unterzugehen!«
»Und doch hat der beständige Kampf mit den Mauren keinen Hass auf sie in dir gesät«, erwiderte Gonzalo und drehte sich zu seinem Onkel um.
»Weil ich ihre Angriffe nicht persönlich nehme und, wie ich wohl zugeben muss, dem Kriegsspiel durchaus etwas abgewinne. Es schärft die Sinne, schult die Reaktionsbereitschaft und sorgt dafür, dass weder meine Knochen noch meine Rüstung Rost ansetzen!« Er zwinkerte seinem Neffen zu. Gonzalo brummte verdrossen.
»Was hält dich eigentlich noch immer hier?«, fuhr Don Diego fort. »Angst vor dem Schlachtfeld ist dir doch ebenso fremd wie mir. Warum vertust du deine Tage auf der Burg deines alten Onkels, statt auf dem Feld Ruhm und Ehre zu erlangen oder dich wenigstens um deine Frau zu kümmern? Wie man hört, hat sie noch immer kein Kind von dir empfangen.«
Der Gedanke an seine Frau erfüllte Gonzalo mit Unbehagen. Auch nach drei Jahren Ehe begegnete sie ihm noch ebenso kalt wie in der Hochzeitsnacht, und seit er in Loja diese Maurin wiedergesehen hatte, konnte er ihre abweisende Art und ihren Hochmut noch weniger ertragen, doch dies waren Dinge, die er seinem Onkel niemals erzählen würde. Er hätte sie ohnehin nicht verstanden.
»Angst«, murmelte er also nur und schüttelte den Kopf. »Nein, Angst habe ich keine. Aber ich sehe in diesem gegenseitigen Abschlachten keinen Sinn. Boabdil will doch den Frieden! Warum, zum Teufel, verhandelt Fernando dann nicht mit ihm?«
»Das fragst du mich doch nicht im Ernst?«
Gonzalo machte eine wegwerfende Geste und wandte sich wieder zum Fenster um, denn die Antwort kannte er leider in der Tat nur zu gut: Fernando wollte die Mauren aus dem Land haben, und die Juden, die unter ihrem Schutz lebten, gleich mit. Er wollte Granada besitzen, Granada mit seinem unermesslichen Reichtum und der sagenumwobenen Alhambra. Aber das genügte Gonzalo nicht als Rechtfertigung für so viele Tote. Er musste an seinen jüngeren Bruder denken.
»Eigenartig, dass wir noch immer keine Nachricht von Jaime haben«, brummte er. »Angeblich war er nicht unter den Toten von Axarquía, sein Name steht nicht auf der Liste der Gefangenen – aber irgendwo aufgetaucht ist er auch nicht.«
»Tja, das lässt allerdings Schlimmes befürchten«, meinte Don Diego, erhob sich von seinem Stuhl und trat neben Gonzalo ans Turmfenster. Inzwischen war die Nacht angebrochen. Nur wenige Sterne funkelten am Himmel, der Mond war eine schmale Sichel, in der Ferne zirpten Grillen, und ab und an war das Rufen einer Eule zu hören. Einen Moment standen die beiden Männer stumm nebeneinander und betrachteten die stille Nacht wie ein besonderes Gut, dann fuhr ein Ruck durch Don Diego. »Da ist doch ein Flackern hinter den Bergen«, knurrte er.
Gonzalo folgte seinem Blick, konnte aber nichts entdecken. »Vielleicht ein Wetterleuchten.«
»Um diese Jahreszeit?« Don Diego schüttelte den Kopf.
»Wenn Lucena in Schwierigkeiten wäre, hätten sie die Lärmfeuer auf den Hügeln angezündet«, beharrte Gonzalo, und kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, flackerte das erste Warnfeuer auf den Bergen auf.
»Das ist erst eins«, versuchte er seinen Onkel zu beruhigen.
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